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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0034

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11 Gewalt als Begriff

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sozialen Sinn des Handelns/? Einflussreich sind in dieser Hinsicht vor allem
die von Max Weber (1922) definierten Motivlagen menschlichen Handelns,
die leicht abgewandelt auch auf die Gewaltforschung übertragen wurden/^
Nunner-Winkler (2004) differenziert zwischen zweckrationalen (innere ge-
glaubte Notwendigkeit zur Mehrung des eigenen Vorteils), wertrationalen
(innere und äußere geglaubte Notwendigkeit für höheres Ziel oder vorgege-
bene Norm), expressiven (Gewalt als Selbstzweck: meist in Subkulturem ver-
ankert; Grenze zwischen Opfer und Täter verschwimmt) und affektiven (un-
kontrollierte Gewalthandlungen, die reflexartig als ,neuronale Entgleisung'
ausgeführt werden) Einsatz von Gewalt/^
Breiter angelegt ist der Ansatz von Hugger (1995), der für die übergeord-
nete Analyse fünf Dimensionen von Gewalt nennt, von denen die Frage nach
der Intention nur einen Aspekt darstellt: intendiert/nicht intendiert, mani-
fest/latent, personal/strukturell, physisch/psychisch, objektbezogen/objekt-
los/" Die Einbeziehung struktureller und psychischer Gewalt lässt erkennen,
dass Hugger vor allem von Johan Galtung beeinflusst wurde, der ab 1969 das
Konzept der strukturellen Gewalt entwickelte. Darunter verstand er jede
Form der Benachteiligung oder Behinderung, die die Lebensumstände der
Menschen zwangsweise präge/' Gewalt sei demnach „die Ursache für den
Unterschied zwischen dem Potentiellen und dem Aktuellen."^ Insgesamt ist
Galtungs Konzept eher auf Ablehnung gestoßen (von Trotha sprach von einer
„Sackgasse"R3)^ da man den Gewaltbegriff durch die inhaltliche Ausweitung
so stark verallgemeinert sah, dass er für die eingehende Analyse spezifischer
Handlungsmuster unbrauchbar werdet - eine Kritik, die über Galtung hin-
aus auch den häufigen metaphorischen Gebrauch des Gewaltbegriffs trifft/^
Entsprechend wählte Reemtsma (2008) für seine Phänomenologie der Gewalt
einen Zugriff, der die Körperbezogenheit von Gewalt betont, die er bei der

" Reemtsma, Vertrauen, S. 106. Kritisch äußert sich dazu Trotha, Forms, S. 58-60, der die Frage
nach Gründen zugunsten von analytischen Beschreibungen zurückstellen möchte, da in der
dynamischen Beziehung zwischen Opfer und Täter der Schlüssel zum Verständnis von Gewalt
liege.
78 Weber, Wirtschaft, Bd. 1, S. 17 (1,2 §2, Bestimmungsgründe sozialen Handelns), unterscheidet
zwischen zweckrationalem, wertrationalem, affektuellem und traditionalem Handeln. Siehe
dazu auch: Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie, S. 36; Körte, Soziologie, S. 61.
79 Nunner-Winkler, Überlegungen, S. 49-55.
so Hugger, Elemente, S. 20-22.
8i Galtung, Violence; Galtung, Strukturelle Gewalt. Ebenso die Definition bei Knape, Gewalt,
S. 60. Siehe dazu Schumann, Hoffnung.
87 Galtung, Strukturelle Gewalt, S. 9.
88 Trotha, Soziologie, S. 13.
84 Clauss, Aujourd'huy, S. 80; Nunner-Winkler, Überlegungen, S. 21-27; Hirsch, Notwendige
Gewalt, S. 71f.; Trotha, Soziologie, S. 13; Baecker, Gewalt, S. 97f.; Popitz, Phänomene, S. 73. Sie-
he dazu auch Müller-Koch, Gewalt; Schroer, Gewalt.
88 Vgl. Groebner, Schock, S. 70-72; Braun/Herberichs, Einleitung, S. 15f. Auch die Herausgeber
eines 2009 publizierten Bandes über ,intellektuelle Gewalt' reflektieren diese Kritik einleitend,
bieten aber gleichzeitig ein aktuelles Beispiel eines breiten metaphorischen Gebrauchs des Ge-
waltbegriffes, vgl. Semelin, Preface sowie Azoulay/Boucheron, Violences. Ähnlich breit wird
der Begriff auch im Sammelband von Hugger/Stadler verwendet: Gewalt. Kulturelle Formen.
Röcke, Die Gewalt, dagegen thematisiert imaginäre oder angedrohte Gewalt.
 
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