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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0038

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21 Forschungsstand

37

verwunderlich, dass Werke mit dem breit angelegten Titel ,Geschichte der
Gewalt' relativ jung sind und gleichzeitig ihren Fokus auf das 20. Jahrhundert
legen."
Für die Zeit vor der Konjunktur der Gewaltforschung ist es also notwen-
dig, auch die Entwicklung der Forschungen zu Krieg, Fehde, Aufständen und
Alltagsgewalt in ihren Grundzügen in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig mit
der Herausbildung von Gewalt als eigenständigem Forschungsfeld wurden
diese Themen im Zuge des CMhMnh h/rns auch in der Mediävistik unter ver-
änderten Blickwinkeln betrachtet und brachten so neue Fragestellungen und
Erkenntnisse hervor. Anhand dieser Aspekte ist der folgende Überblick grob
chronologisch aufgebaut.
Der Anfang gebührt Johan Huizinga, allein aufgrund der Wirkmächtig-
keit seiner Darstellung: In seinem berühmten „Herbst des Mittelalters"
(1919)'" beschrieb er das Spätmittelalter als eine brutale, durch spontane,
affektive Handlungen geprägte Zeit und prägte damit den Topos von der
besonderen Gewalttätigkeit des Mittelalters. Seit der Veröffentlichung seines
Werkes arbeitet sich kein geringer Teil der Publikationen zur Gewalt im Mit-
telalter an dem von Huizinga entworfenen Bild ab oder reagiert zumindest
indirekt darauf"" - und mit dem Versuch einer Neuperspektivierung bildet
auch die vorliegende Arbeit keine Ausnahme.

Nationale Traditionen
Die Thematisierung von Gewalt war lange durch nationale Geschichtserzäh-
lungen geprägt."^ Großen Einfluss auf die deutsche Forschung hatte Otto
Brunners kontrovers diskutiertes Werk über „Land und Herrschaft" (1939)'",
mit dem er eine Neubewertung der mittelalterlichen Fehdepraxis vornahm.
Galt diese lange Zeit als Sinnbild eines schwachen spätmittelalterlichen
Staates, beschreibt Brunner sie als Mittel der Rechtsfindung, das aus ehren-
haften Motiven heraus angewandt und als legitim empfunden worden und
darüber hinaus bestimmten (allerdings nicht verschriftlichten) Regeln unter-

9 Metz, Geschichte der Gewalt; Koch, Geschichte. Siehe auch Gewalt der Geschichte. Der
Centaurus-Verlag begann 1995 eine Reihe ,Gewalt in der Geschichte', in der bisher aber nur
zwei Bände erschienen: Armanski, Clermont; Armanski, Gewissen. Siehe zum vermeintlich
besonderen Verhältnis des 20. Jahrhunderts zur Gewalt auch Heitmeyer/Soeffner, Einleitung,
S. 12f.; Reemtsma, Vertrauen, bes. S. 21f.
10 Huizinga, Herbst.
11 Siehe z. B. Gauvard, Grace especial, S. 2; Frevert, Gefühle, S. 195; Blanchard, Oralite, S. 173f.;
Vale, Aristocratic Violence, S. 161f.; Althoff, Empörung, S. 62; Graus, Mentalität, S. 29; Jäger,
Aspekte, S. 56f.; Bataille, Proces, S. 300f. Allzu unkritisch Thomas, Corps violent, S. 59, der die
Psychologisierung Huizingas unreflektiert übernimmt und so dem ,mittelalterlichen Men-
schen' eine psychologische Instabilität diagnostiziert.
12 Es sei z. B. auf nationalstaatlich geförderte Forschungsprojekte in den Geschichtswissenschaf-
ten hingewiesen, die im Folgenden in die Darstellung miteinbezogen werden. Siehe generell
auch die detaillierten Forschungsüberblicke von Rogge, Kriegswesen; Selzer, Eingeschränkt
tauglich; Kortüm, Krieg; Auer, Kriegsgeschichte.
io Brunner, Land. Siehe zur kritischen Diskussion um das Werk: Algazi, Otto Brunner. Zur Per-
son Otto Brunners und seiner NS-Vergangenheit: Jütte, Ständestaat.
 
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