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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0055

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54

III Orientierung

den Konzepten der Repräsentation (die mentale Wiedergabe einer wahrge-
nommenen äußeren Realität), der Symbolik (die Verbindung von Objekten
mit ihnen zugeschriebenen Werten) und der Weltanschauung (Ideen, die
durch Repräsentation Sinn stiften und so ein Bild der Welt hervorbringen).
Der Begriff des WMgÜMnr zielt also nicht nur auf eine fiktive Ebene, wie die
deutsche Übersetzung ,das Imaginäre' oder ,das Phantastische' nahelegen
könnte, sondern auch auf realitätsbezogene, formalisierte Vorstellungs- und
Bildwelten, die handlungsleitend wirken können: „Der WMgÜMnv ernährt den
Menschen und bringt ihn zum Handeln."^
Anders als der Blick auf Mentalitäten und mMgÜMire, der von kollektiven
Denkmustern ausgeht, nähert sich Goetz der Frage nach Denkstrukturen von
individueller Seite (und vermeidet damit die methodischen Probleme, die
Aussagen über kollektive Einstellungen zwangsweise mit sich bringen).
Ausgehend von der subjektiven Prägung jeder Quelle nimmt sein Konzept
der Vorstellungsgeschichte die individuelle Erzählabsicht des Autors zum
Ausgangspunkt, um nach dem geistigen Hintergrund zu fragen, der eben
dieser Intention zugrunde tiegtA Nach Goetz geht es dabei um das Verstehen
der Geschichte aus zeitgenössischer Perspektive, das „persönliche Anschau-
ungen ebenso [umfasst] wie gruppenspezifische Mentalitäten, die epochema-
chenden Ideen ebenso wie rein private Interpretationen von Fakten, Vorgän-
gen, Gegenständen und Abläufen."^ Die Subjektivität der Quelle erscheint in
dieser Perspektive nicht so sehr als Problem, sondern wird selbst zum Ge-
genstand der Erkenntnis.^
Da die Untersuchung historischer Mentalitäten aufgrund des zumeist in-
dividuellen Blickes, den uns die Quellen ermöglichen, nur selten möglich
scheint, eröffnen mMgÜMnr und Vorstellungsgeschichte zwei produktive Al-
ternativen. Ausgehend vom Individuum lassen sich Erzählabsichten und
ideelle Denkmuster erkennen, die sich auch in anderen Quellen wiederfinden
lassen. In ihrer Summe bilden diese Sichtweisen zwar keine ,Mentalität' ab,
erlauben aber doch Einblicke in Vorstellungen, die entweder von anderen
Autoren geteilt werden und damit zumindest als partiell verbreitet gelten
können, oder aber als charakteristische Sicht Einzelner besonders auffallen.
Gleichzeitig erlaubt die Verschränkung von Vorstellungsgeschichte und
gÜMnr auch einen Einblick darin, wie kollektive Vorstellungen die jeweilige
Erzählintention prägen und dann in der Darstellung des historischen Gesche-
hens umgesetzt werden. Teilweise können diese Vorstellungen den Charakter
einer Ideologie - verstanden als vermittelbares System von Weltanschauun-
gen - annehmen und dann schriftlich fixiert werden A

23 „L'imaginaire nourrit et fait agir l'homme." Le Goff, L'imaginaire, S. VII.
24 Goetz, Vorstellungsgeschichte [1979], S. 253-257.
23 Ebd., S. 256.
26 Ebd., S. 266.

22 Zum Begriff der , Ideologie' siehe Raulff, Mentalitäten-Geschichte, S. 10f.; Sellin, Mentalität,
S.581-586.
 
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