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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0088

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21 Theologisch-skeptisch

87

geistlichen Lebenswelt geschuldet. Auf den zweiten Blick erscheint die Schä-
digung kirchlicher Güter oder die Gefangennahme von Klerikern als elemen-
tare Verletzung der Regeln, auf die man sich in einem langen Prozess seit den
Gottesfrieden geeinigt hatte.^ Daher wurde eine solche Tat als besonders
verwerflich dargestellt und war lexikalisch betrachtet geradezu der Inbegriff
des ,Unrechts' Als derartige Rechtsverletzungen wurden in der
klerikalen Perspektive allerdings nicht nur materielle Schädigungen durch
Gewalteinwirkung angesehen, sondern auch finanzielle.^
Jenseits der nicht eingehaltenen Regeln erschien es aus religiöser Sicht als
besonders beunruhigend, dass Christen untereinander Krieg führten. Schon
1356 hatte Innozenz VI. in verschiedenen Briefen darauf gedrängt, dass die
Könige von Frankreich und England ihren Krieg beilegen müssten, um das
„Vergießen christlichen Blutes, das von der Erde zum Himmel schreit"^ zu
beenden. In Zeiten der Not und der Trauer treten uns auch Ritter entgegen,
die durch ihr Agieren auf das Problem der innerchristlichen Kriege verwei-
sen: Ein Mirakelbericht des Hl. Martial berichtet von einem Ritter, der beim
Reiten ins Wasser gefallen war. Als er derart hilflos über eine Wallfahrt hin-
aus gelobte, nie wieder gegen Christen kämpfen zu wollen, wurde er geret-
tet.^ Auch der Bourgeois blickte bei der Schilderung eines Kampfes zwischen
Armagnacs und Pariser Kriegern, die 1429 das belagerte Orleans versorgen
wollten, nicht so sehr auf den Bürgerkrieg, sondern auf den innerchristlichen
Streit und entwarf ein düsteres Bild:
„Es ist ein großer Jammer auf der einen wie auf der anderen Seite,
dass die Christenheit sich gegenseitig tötet, ohne den Grund dafür zu
wissen, denn der Eine wird hundert Meilen entfernt von dem sein.

22 Chronique des quatre premiers Valois, S. 38; Chronique dite de Jean de Venette, S. 94; Juvenal
des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 56-58 (Trcs rcucrcMds) und 255-257 (AMÜiU cd;'); Chronique du Reli-
gieux, Bd. 1, S. 18-20; Bd. 4, S. 352, 470, 518; Bd. 5, S. 326; Bd. 6, S. 130, 164, 198-202, 238, 288;
Monstrelet, Chronique, Bd. 2, S. 174; Bd. 3, S. 8f.; Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 26, 278; Bd. 2,
S. 124; Nicolas de Clamanges, Opera omnia, Bd. 1, S. 47 (De iapsM ei nperehone iMshhae, Kap. 7).
Auch nicht-klerikale Autoren beschreiben Übergriffe auf kirchliche Güter explizit als Kriegs-
übel: Froissart, Chroniques (liv. I & II), S. 226 (1,81), 303 (1,122), 402 (1,171), 556 (1,264), 605
(1,293); Philippe de Commynes, Memoires, Bd. 1, S. 153 (11,13). Geoffroi de Charny listet Über-
griffe auf Kirchen und Kleriker explizit als eines von vier Übeln (wHMUHiscs fHd?cs) auf: The
Book of Chivalry, S. 178. Vgl. auch Bonet, Arbre, S. 206f. (IV,97).
22 Vgl. z. B. Froissart, Chroniques (liv. I & II), S. 605 (1,293). Siehe auch S. 26-29 dieser Arbeit.
24 Dies sind etwa sinkende Einnahmen oder die Frage, ob Kleriker sich durch Steuern an der
städtischen Wache beteiligen müssen, vgl. Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 402; Ordonnances,
Bd. 12, S. 136 (Karl VI., 1383); Bd. 13, S. 422 (Karl VII., 1444).
22 SHMgMÖüs de ferm cDmaf ee/MW. Moisant, Prince Noir, S. 235; ähnlich ebd.,
S. 239.
26 aduersMS edn'sÜHMMW däyMem de cefero SMweref arwa. Femaitre, Miracles, S. 106 (Nr. 1);
siehe dazu Kaeuper, Holy warriors, S. 31. Auch Jean de Cornouailles, ein englischer Ritter, ha-
be angesichts des Todes seines Sohnes und einer eigenen Verletzung über das Unrecht des
Krieges und die Gefahren für Körper und Seele nachgedacht und schließlich beschlossen, die
Waffen niederzulegen und nie wieder gegen Christen zu kämpfen, Chronique du Religieux,
Bd. 6, S. 448. Zum Zusammenhang von Wunderberichten und Gewalt siehe die Studie von
Goodich, Violence. Zur Bedeutung der Hagiographie für die historische Gewaltforschung siehe
Krötzl, Crudeliter afflicta, bes. S. 122-137.
 
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