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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0089

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1111 Voraussetzungen

die sich gegenseitig töten werden, um sich ein bisschen Geld zu ver-
dienen, oder den Strick für den Körper oder die Hölle für die arme

Seelen

Angesichts andauernder Kriege und fortgesetzten Tötens wirkt der Pariser
Kleriker beinahe fatalistisch: Für eine Handvoll Geld töteten Christen sich
gegenseitig, zudem grundlos, und riskierten dabei als irdische Strafe den
Strick oder als jenseitige die Hölle - nein, der Bourgeois sah für Krieger sicher
keine gute Zukunft. Sein Zugang mag zwar angesichts professioneller Söld-
ner und kirchlich abgesegneter Kriege pragmatisch betrachtet überholt sein,28
theoretisch aber blieb die grundlegende religiöse Skepsis erhalten. Dies umso
mehr, als die Kriege, die dem Pariser Theologen vor Augen standen, lange
nicht die klerikalen Anforderungen an ,gerechte' Kriege erfüllten. So mochte
der Lauf der Welt sich zwar zum schlechteren gewandelt haben, das tangierte
aber keineswegs die traditionellen Normen, die der Maßstab der Bewertung
blieben. Die Gegenwart wurde vielmehr einem imaginierten ,Goldenen Zeit-
alter' der Vergangenheit gegenübergestellt:^ Während frühere Kriege zur
moralischen Besserung beigetragen, Laster zurückgedrängt und Tugenden
hervorgebracht hätten, würden die heutigen Kriege die Menschen nur noch
korrumpieren und träge machen, so Sodal, der pessimistische und religiös
argumentierende Protagonist aus Alain Chartiers DizzZogz/syhrn/üansA'

Gottes Hilfe, Gottes Strafe
Letztlich konnte Sodal nur auf Gott vertrauen: Gott habe die Plage über das
Land gebracht, niemand außer ihm könne sie also heilen. Was immer die
Menschen auch tun würden, Friede gebe es nur durch GottA Die Metapher
der Plage/Krankheit, die das personifizierte Frankreich schwächte, war gera-
de im 15. Jahrhundert weit verbreitet: Das Königreich beziehungsweise der
Staat wurde als Körper begriffen, der nur durch das Zusammenwirken all
seiner Glieder handlungsfähig seiA Umso fataler erschien es, wenn sich die

^ DoM/ c'csZ gumdcp/Zic cZ d'MMC parZ cZ d'HMZrc, pMC^'Z pMC c/?rcZZcMZc ZMC H/MsZ /'MM Z'HMZrc SHMS SHfoZr
CHMSC poMn?Moi, rar / 'MM scra de ccMZ /ZcMcs /o/M de Z'HMZrc, pMi se u/eMdroM/ CMZrc-ZMcr, poMr gHgMcr MM
poM d'argeM/ OM /e g/ZvZ HM corps OM cp/cr d D pHMurc dwc. Journal d'un Bourgeois, S. 252 (§ 495).
78 Vgl. den entsprechenden Kommentar Beaunes im Journal d'un Bourgeois, S. 252, Fußnote 40.
79 Zum Topos des ,Goldenen Zeitalters' siehe Graus, Goldenes Zeitalter.
70 Moores MosZros H/ZcMospMC popM/MS uir/M/e rew/ssos o/Zw Zv//H corripMorc, Mos corrMpcrc. l/D repressere
/i/dd/Mcm, Z?ee cxprcsscrc. 1//H uir/M/cm Z^om/MMW cxci/Hucrc sopi/Hm, Z?ee wo/ZZcZcM! pnzr/cMZcw cxci/H-
uere. AZZcMH u/rZMS /M Zp/ZrwZZHZc pcr/Zc/ZMr, MosZra HMZew /M ZpJZrwZZHZZZMZs ZpJZrwHZMr. Chartier, Oeuv-
res, S. 260 (D/H/ogMS Jämi/iHris, §23). Der Text wurde 1426/27 verfasst.
77 Zl/l CO p/ggg/Mit, H/^ CO so/o SpcrHMdH mcd/c/MH. QM/dpMZd /H/WCMZ Z?OM!/MMM! /MgCM/H, H Deo CSZ regMO-
rMW ZrHMpM/Z/ZZHS. Ebd., S. 322 (DZaZogMS JdwZ/ZHrZs, §139).
77 Siehe z. B. Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 98; Gerson, Oeuvres, Bd. 7/2, S. 1156 und 1160
(VZfHZ rex); Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 2, S. 240f. (VcrZv weg). Zur Gefährdung des Staatskör-
pers durch Verbrechen: Gauvard, Grace especial, S. 217-222. Durch Leprakranke: Nirenberg,
Communities, S. 58-60. Durch die Spaltung des Reichs bei Jean Gerson: Guenee, Eglise, S. 42.
Zum theoretischen Hintergrund: Struve, Entwicklung; siehe auch Le Goff/Truong, Histoire,
S.182-184.
 
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