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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0090

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21 Theologisch-skeptisch

89

Glieder wie im Bürgerkrieg untereinander bekämpften. Dies versinnbildlichte
Michel Pintoin in einer Allegorie, indem er zum Jahr 1410 beschrieb, wie ver-
schiedene Raubvögel verbissen untereinander kämpften, bis nur noch ein
Haufen Kadaver übrig geblieben sei. Weise Männer hätten dies als Zeichen
kommender Übel gedeutet.^ Mehr noch als der innerchristliche Krieg wurde
die innere Spaltung Frankreichs als Kern der aktuellen Wirren ausgemacht:
Der politische Körper funktioniere nicht mehr, da die Adligen degeneriert
seien und sich untereinander bekriegten.^ In früheren Kriegen seien nur
Landschaft und Körper verheert worden, so erneut Sodal, in den heutigen
Kriegen aber würden die Tugenden daniederhegen und die Laster triumphie-
ren.^ Gegenüber der seelisch-moralischen Verkommenheit war der bloße
körperliche Tod bedeutungslos - schließlich galt die Sorge des Klerus den
Seelen, nicht den Körpern.
Die sichtbaren Auswirkungen des Krieges wurden nur auf den ersten
Blick problematisiert, dahinter staud die Sorge um die gesellschaftliche Moral
im Ganzen und die individuelle Seele im Besonderen. Die Spaltung und Zer-
strittenheit der Gesellschaft war für Jean Juvenal wiederum nur das Symp-
tom, nicht die Ursache der ÜbelA Es ergab sich ein Teufelskreis: Die innere
Spaltung schwächte das Reich, verdarb die Sitten und beschwor damit den
Zorn Gottes herauf, der die Menschen mit immer weiteren Übeln strafte. Der
Glaube, sowohl Siege als auch Niederlagen seien göttliche Urteile, lässt das
Bild eines Gottes erkennen, der aktiv in die menschlichen Geschicke ein-
greiftA Jeder Sieg und jede Niederlage, jeder Erfolg und jeder Rückschlag
konnte so als Entscheidung Gottes interpretiert werden, die den Handelnden,
seine Intentionen oder seinen Lebenswandel bewertete. Die Warnung des
Bourgeois, auf die sich gegenseitig bekriegenden Christen würde die Höhe
warten, ist so gesehen noch eine recht zurückhaltende Einschätzung.
Viel direkter erscheint das Eingreifen Gottes in einem Mirakelbericht des
Hl. Martials von ca. 1388: Ein englischer Plünderer, der einen Pilger auf dem
Weg nach Limoges ausgeraubt hatte, wurde kurz danach von einem glühen-
den Feuer zu Boden gestreckt und spie übel riechende Dämpfe aus. Erst als er

Chronique du Religieux, Bd. 4, S. 330-332.
34 Ebd., S. 288 und 338.
33 QMc fM warras uirorMM rorpora d pafrL c;JfMM uashfah &&ro, /;oc, moros d aDmos, arma SMsfM/o-
rM?d. HornDcs M/;'s a?dor;'or;TMS per fMrmas Eeu;'d; SMMf, /;oc nosfro c;'u;'E M/o uirfMS SMMDE uida^MO
ddon'osa frDmpEaMf. Chartier, Oeuvres, S. 272 (D;'a/ogMS Jäm;7;'ar;'s, §45). Den Mangel an Tugend
beklagt auch der ,Kleriker' im Q;Mr;7ogMC Dwd;'/) vgl. Chartier, Quadrilogue, S. 76f.
33 Hdas, Mas, Mas, MOMS uooMS Ls froi/s crMOM/x d MorMEoMxyLgdz &s^Mdz DM MOMS pMgDf ow co
roi/a:dmo, c'osf assauoir gMorro, d morfa/;7o. Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 58 (Tros ro-
uoro?Ds); ähnlich ebd., S. 235 (ADD' cd;').
37 Zu Schlachten als Gottesurteile: Clauss, Kriegsniederlagen, S. 186-213; Honig, Strategie, S. 236;
Schmidtchen, Ius, S. 34f.; Bartlett, Trial, S. 103-126; Keen, Laws, S. 129f. Speziell zur Deutung
der Niederlage bei Poitiers 1356: Kaeuper, Geoffroi de Charny, S. 51. Zu Azincourt 1415: Kor-
tüm, Azincourt; in Bezug auf Chronistik: Bach/Hruschka, Bild, S. 61; spezieller bei Michel Pin-
toin: Guenee, Religieux, S. 339f. In Bezug auf Mirakelgeschichten: Goodich, Violence, S. 54—57.
Zum Schlachtentod in Abgrenzung zu politischen Morden: Minois, Couteau, S. 18. Zum Topos
des aktiv in die Geschichte eingreifenden Gottes vgl. Baraz, Violence, S. 180f.; Melville, Exkurs,
S. 121; speziell bei Commynes: Mauntel/Oschema, Prince, S. 141.
 
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