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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0122

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41 Städtisch-problematisierend

121

(1) Zum einen wurden die Auswirkungen der andauernden Kriege prob-
lematisiert - vor allem anhand der allgegenwärtigen Plünderungen.^ Diese
galten als Gefahr sowohl für Leib und Leben als auch für den wirtschaftlichen
Erfolg. Verantwortlich dafür waren vordergründig undisziplinierte und un-
bezahlte Söldnerheere, die eigentliche Kritik richtete sich aber gegen den
Adel, der keinerlei Interesse zeigte, diesen Missstand zu beheben. Die Land-
bevölkerung floh in die Städte und sorgte dort mitunter für soziale Probleme
und weitere Gewalt.^ Die Städte selbst sahen sich durch Zerstörungen ihres
Umlands und Belagerungen gefährdet und fühlten sich vom Adel im Stich
gelassen. Kritisiert wurde jedoch nicht der Krieg an sich, sondern die Art und
das Ausmaß der Kriegsführung, die man als exzessiv empfand.
(2) Zum anderen wurde Gewaltausübung auch eingefordert. Vom König
erwartete man die Bestrafung von Verbrechern, vom Adel Schutz und Vertei-
digung. Für die andauernden militärischen Misserfolge machte man insbe-
sondere das Rittertum verantwortlich und die auf ritterlichen Konventionen
fußende Kampfweise wurde - teils aus Unkenntnis - scharf kritisiert. Aus
städtischer Sicht hieß Krieg, den Gegner zu besiegen und zu töten. Militäri-
sche Eigeninitiativen der Städte stärkten zwar das kommunale Selbstbewusst-
sein, zeigten jedoch immer wieder auch die Unterlegenheit städtischer Trup-
pen gegenüber professionellen Kämpfern. Bezüglich ihrer politisch-militä-
rischen Handlungsfähigkeit befanden sich die Städte damit in einer Sack-
gasse.
Der Ausweg war politischer Pragmatismus. Für Städte waren Kriegsruhm
und Loyalität keine handlungsleitenden Ziele. Bezugspunkte politischer Ent-
scheidungen waren vielmehr die städtische Sicherheit und der wirtschaftliche
Erfolg. So verhandelte man häufig bereitwillig mit Belagerern, um die Stadt
vor Zerstörung zu bewahren. Gleichzeitig setzte man die eigenen militäri-
schen Mittel gezielt ein, um städtische Interessen aktiv durchzusetzenA Der
lange und sich verschärfende Krieg führte vermutlich dazu, dass jeder um
1400 Geborene den Frieden kaum kannte.^ Militärische Waffen waren in der
Bevölkerung ebenso weit verbreitet wie Erfahrungen im KampfA Die Bevöl-
kerung war an Gewalt gewöhnt; sie lehnte sie keinesfalls grundsätzlich ab,
sondern forderte vielmehr gezielt ihren Einsatz. Aber das Maß der Gewalt im
frühen 15. Jahrhundert schien das Normale bei weitem zu übersteigen: Die
gewohnte Ordnung war aus den Fugen geraten.

95 Solon betont die starke Wirkung der der 1350er Jahre in der Erinnerung der Bevöl-
kerung, Solon, Tholosanna Fides, S. 265f.
96 Vgl. Gauvard, Violence dtadine, S. 1114f.; zu den Handlungsmöglichkeiten der Bevölkerung
generell siehe Kapitel 4 und 5 bei Wright, Knights, sowie Curry, Gens vivans; Barnie, War,
S.32-55.
97 Roch, Guerres, S. 51 f.; Wright, Knights, S. 81 f.
98 Schnerb, Armagnacs, S. 288.
99 Cohn, Lust, S. 38.
 
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