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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0137

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136

1111 Voraussetzungen

Die Diskussion um Gewaltausübung war ein Streit der Prinzipien. Dem
Adel galt das Kriegshandwerk als ureigene ständische Aufgabe und damit als
ehrenwert und ruhmreich, mitunter gar als gottgefälliger Weg zur Erlösung.
Sein Handeln und Denken kreiste um die Tugend der Tapferkeit (proMessc),
die es im Kampf zu erwerben und zu demonstrieren galt. Der Klerus beharrte
auf dem traditionellen Konzept des hdü/m mstum. Dessen Kenntnis kann un-
ter den Autoren zwar als weit verbreitet angesehen werden, war in der
Kriegsführung aber, wie etwa Philippe de Commynes betont, zur bloßen Staf-
fage verkommend Insbesondere aus theologischer Sicht war die Frage nach
der Rechtmäßigkeit militärischen Handels jedoch primärer Maßstab der Be-
wertung. Autoren mit städtischem Hintergrund orientierten sich dagegen am
Nutzen der Gewaltausübung und forderten etwa statt der adligen Praxis der
gegenseitigen Gefangennahme die Gegner zu töten. Auf theoretischer Ebene
thematisierten Intellektuelle vor allem das Fehlen der Gerechtigkeit (/Msüce),
die als stilisiertes Gegenteil jeglichen Unrechts (vzoUnce) zum ideellen Kern
des gesellschaftlichen Zusammenhalts wurde.
Aus diesen Sichtweisen heraus erscheint die Ausübung von Gewalt
wahlweise als Recht oder Pflicht. Das königliche Recht des Strafens war un-
bestritten, ebenso wie das traditionelle adlige Vorrecht der Kriegsführung.
Der König aber behielt sich die Möglichkeit zur Begnadigung vor und der
Adel verbot sich seinerseits jede Einmischung in die Frage, auf welche Art der
Krieg zu führen sei. Sowohl Intellektuelle als auch städtische Autoren aber
forderten besonders im 15. Jahrhundert die effiziente Ausübung von Gewalt
geradezu ein: Der Adel wurde in der Pflicht gesehen, die Feinde wirksam zu
bekämpfen und der König wurde aufgefordert, exemplarisch zu strafen. In
beiden Fällen wurde einerseits das Recht zur Pflicht erhoben und erodierte
andererseits die Exklusivität des Rechtsanspruchs. Aufständische sahen ihre
Gewaltausübung als Beschleunigung der königlichen Justiz und Stadtbewoh-
nern kam mehr und mehr das Vertrauen in ,ihr' militärisches Fachpersonal
abhanden, so dass sie mitunter Garnisonen der Stadt verwiesen. Gewalt wur-
de keineswegs nur als Bedrohung für die Gesellschaft aufgefasst, sondern galt
gerade in Zeiten der zumindest gefühlten Krise als stabilisierendes Element.

Philippe de Commynes, Memoires, Bd. 1, S. 163 (111,1).
 
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