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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0141

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140

IVI Problematisierungen

mittelalterlicher Kriegstheorien steht die lexikalisch breite Nutzung des
Kriegsbegriffs in erzählenden Quellen gegenüber, die auf keiner klaren Defi-
nition zu beruhen scheint.^
Die meisten mittelalterlichen Definitionen rekurrieren auf das aus der An-
tike übernommene^ und christlich überformte Konzept des Mlum ZMsfMm, das
die theoretische für Grundlage dafür bot, dass auch aus christlicher Sicht legi-
time Kriegsführung möglich war. Die christliche Fundierung des rns-
fum geht auf Augustinus (+ 430) zurück. In seiner Deutung des antiken Kon-
zepts des zusfum wurde die Ausübung von Gewalt nicht grundsätzlich
abgelehnt, sondern an Bedingungen geknüpft: Gerechte Kriege konnten von
legitimen Autoritäten zur Bestrafung von Unrecht beziehungsweise auf Be-
fehl Gottes geführt werden und waren damit an eine legitime Autorität (%nc-
fonfas Uylmza), einen gerechten Grund (causa zusfa) und die rechte Intention
der Kriegführenden (hhcMÜo rccfa) gebunden. Der Krieg selbst blieb jedoch ein
Übel. Augustinus' Gedanken wurden breit rezipiert und weiterentwickelt, so
von Isidor von Sevilla (+ 636)?, Gratian (+ 1160)s und Thomas von Aquin
(+ 1274)9. Der gerechte Krieg wurde somit als fester Bestandteil der irdischen
Welt akzeptiert.
Johannes von Legnano (+ 1383) nährte sich dem Phänomen grundsätzlich
anders: ,Krieg' ist ihm zufolge ein Streit, der entsteht, wenn die menschliche
Begierde mit etwas Widersprüchlichem konfrontiert wird und danach strebt,
das Widersprüchliche zu beseitigend" Der Vergleich mit der bis heute ein-
flussreichen Definition des Krieges durch Clausewitz macht die grundsätzlich
andere Sichtweise des Mittelalters deutlich: Für Clausewitz ist Krieg der Ver-
such, „den anderen durch physische Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu
zwingen."^ Aus mittelalterlicher Sicht ist der Krieg als Konfliktform damit -

5 Nicholson, Medieval warfare, S. lf.; Auer, Formen, S. 20.
6 Das antike Konzept bezieht sich hauptsächlich aut die als notwendig empfundene sakrale
Einbettung eines Krieges. Cicero formuliert dagegen einschränkende Gründe (z. B. die Reakti-
on auf Unrecht) sowie die Pflicht, den Krieg mit rechtmäßigen Mitteln zu führen. Siehe dazu
Keller, Cicero; Herzig, Ciceros Konzept; Cavanna/Boockmann, Bellum iustum, sowie Manto-
vani. Bellum iustum; Albert, Bellum iustum.
' Isidorus, Etymologiae, Bd. 2, lib. XVIII,1. Vgl dazu Auer, Formen, S. 20; Cavanna/Boockmann,
Bellum iustum; Keen, Laws, S. 66.
s Corpus iuris canonici, Bd. 1, Sp. 889-895 (DccrUMW GnüMMi, pars II, c. 23, q. 1-2). Vgl. dazu
Steiger, Bellum iustum, S. 107f.; Semmler, Bellum iustum, S. 62; Cavanna/Boockmann, Bellum
iustum; Johnson, Just war, S. 121-131.
9 Thomas von Aquin, Summa theologiae, 11a Ilae, qu. 40, art. 1. Vgl. dazu Kortüm, Kriege,
S. 104-106; Reichberg, Thomas Aquinas; Steiger, Bellum iustum, S. 102-107; Graf, Sakralisie-
rung, S. 7f.; Hertz, Thomasische Lehre; Auer, Formen, S. 20; Cavanna/Boockmann, Bellum ius-
tum; Keen, Laws, S. 66.
i° BdiMW csf coMfcMÜo cxorä! propfcr dissoMMW gppUÜM; dMWHMO proposifMW, ad dissoMHMh'm
cxdM&M&m L'n&'ns. Giovanni da Legnano, Tractatus de Bello, S. 78 (Kap. 1). Bouvet lehnt sich
in seiner Definition eng an Johannes an: Bonet, Arbre, S. 5 (1,1). Siehe auch die Definition
Vincenz' von Beauvais, der irdische Kriege als Spiegel der Anstrengungen sieht, die es um des
geistigen Heils Willen zu unternehmen gelte: Vincent von Beauvais, Speculum quadruplex,
Bd. 1, Sp. 5 (LdvNMS apoiogchcMS, Kap. 5). Siehe dazu von den Brincken, Geschichtsbetrachtung,
S. 430.
ii Clausewitz, Vom Kriege, S. 89 (1,1.2).
 
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