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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0149

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148

IVI Problematisierungen

111.2 Die Regeln und ihre Reichweite
Die Frage nach der Verbindlichkeit der .Regeln' der Kriegsführung wurde in
der Forschung häufig thematisiert.^ Keen grenzte die etablierte Theorie des
Mlum ZMsfum grundsätzlich von den sich entwickelnden Verhaltensidealen
des Rittertums ab. die auf gegenseitiger ständischer Achtung beruhten.^ Im
Rahmen der zahlenmäßig begrenzten Kriegerelite war die Schonung des An-
deren nicht gänzlich selbstlos, sondern konnte einem Krieger im nächsten
Kampf selbst das Leben retten A Die ritterlichen Ideale traten als Gewohnhei-
ten neben das bereits ausformulierte zus ad und wurden ab dem
13. Jahrhundert wiederum verschriftlicht.^ Der Wandel der Kriegsführung
durch den professionellen Einsatz von Söldnerheeren habe jedoch die hehren
Ideale verdrängt, so Auer und Schmidtchen/'" Keen dagegen betont eher den
zunehmend antiquierten und damit inadäquaten Charakter ritterliche Ideale
angesichts der veränderten Realitäten auf dem Schlachtfelds Auch die For-
derung nach Schonung der Landbevölkerung im Krieg sei gegenüber der
Betrachtung der Bauern als potentielle zukünftige Gegner im Kampf in den
Hintergrund getreten.^
Spätmittelalterliche Traktate, wie der Lzwe de dzeuzdene (um 1350) von Ge-
offroi de Charny. boten also nicht einfach eine Verschriftlichung ritterlicher
Ideale, sondern den Versuch, tradierte Werte in die sich wandelnde Gegen-
wart zu retten und das in die Krise geratene Rittertum auf seine alten Tugen-
den einzuschwörenA Folglich bieten sie keinen Katalog festgefügter Normen,
an denen die spätmittelalterliche Realität der Kriegsführung gemessen wer-
den sollte. Vielmehr sind sie Ausdruck eines traditionellen Standesethos und
sollten als verschriftlichte Verhaltensideale gelesen werden, die wiederum
auch nur auf Standesgenossen Anwendung fanden, also sozial exklusiv wa-
ren.^ Es ist daher ungenügend, die Werte und Ideale des Rittertums nur in
normativen Quellen zu suchen. Vielmehr muss ihre Präsenz in historiogra-

56 Ehlers. Ritter. S. 8.18. 79f.. spricht von einer stark kirchlich-christlich geprägten „Ideologie der
Ritterschaft", die verhindert habe, dass pure Brutalität zur Handlungsmaxime geworden sei.
Das Kämpfen sei zwar Ausweis ritterlicher Qualität gewesen, sei aber durch eine Standessoli-
darität geprägt gewesen. Stacey. Age of Chivalry. S. 30. dagegen sieht die ritterlichen Regeln
der Kriegsführung als fast gänzlich säkular geprägt. Barnie. War. S. 57f„ wiederum betont, es
habe zwar komplexe, ausformulierte Regeln gegeben, der Verhaltenscodex auf dem Schlacht-
feld sei dagegen deutlich einfacher gestrikt gewesen. Siehe auch Schmidtchen. Kriegswesen.
S. 55f.; Contamine. Guerre au Moyen Age. S. 460-462.
57 Keen. Laws. S. 2f.
58 Schmidtchen. Ius. S. 35; Wright. Knights. S. 42f.
56 Schmidtchen. Kriegswesen. S. 239-292; Kaeuper. Chivalry and violence. S. 273-297; Keen.
Laws. S. 16f.
60 Schmidtchen. Ius. S. 27; Auer. Formen. S. 34.
6' Keen. Laws. S. 217. Fuhrmann spricht explizit von der „selbstmörderischen Antiquiertheit" des
Rittertums: Fuhrmann. Antiquiertheit.
62 Wright. Knights. S. 33.
68 Kaeuper. Holy warriors. S. 42-47; Kaeuper. Chivalry and violence. S. 284-287; Kaeuper. Geoff-
roi de Charny. S. 49-60.
64 Kortüm. Kriege. S. 193; Stacey. Age of Chivalry. S. 29f.; Wright. Knights. S. 42f.; Keen. Laws.
S. 239-247. Siehe dazu auch die Überlegungen Kortüms zu verschiedenen Kriegstypen: Kor-
tüm. Kriege. S. 52-63; Kortüm. Kriegstypus.
 
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