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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0206

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11 Formen kriegerischer Gewalt

205

foigreichen Engländern und brachte König Karl VI. dazu, seinen Sohn, den
Dauphin, wegen des Mordes zu enterben und Heinrich V. von England als
seinen Nachfolger einzusetzen. Nach dem Tod Karls VI. zog sich der Dauphin
zunächst zurück und wurde entsprechend als „König von Bourges"^' ver-
spottet. Zwar fochten Burgunder und Engländer in den 1420er Jahren Seite an
Seite, sie konnten sich aber dennoch nicht durchsetzen, zumal die französi-
sche' Seite mit dem Auftreten Jeanne d'Arcs und der Einnahme Orleans' ihren
Mut zurückgewann. Der frühere Dauphin wurde 1429 als Karl VII. in Reims
zum französischen König gesalbt. Die Krönung Heinrichs VI. (ebenfalls) zum
französischen König in Paris folgte zwar bereits 1431, aber die englische Posi-
tion verschlechterte sich zunehmend. Mit dem Vertrag von Arras 1435 endete
der Bürgerkrieg offiziell: Burgund wechselte die Seiten und erkannte Karl VII.
als französischen König an. Von nun an standen die Engländer einer franko-
burgundischen Allianz gegenüber.^

112.1 Der fozzzyzzzzzzzv des Bürgerkrieges: Hass und Selbstverstümmelung
Auch der Bürgerkrieg war ein Krieg. Von den Zeitgenossen im spätmittelal-
terlichen Frankreich wurde er jedoch deutlich von regulären Kriegen abge-
grenzt und unter anderen Prämissen thematisiert. Er galt als grundsätzlich
falsch und ungerecht, da er nicht gegen einen äußeren Gegner geführt, son-
dern zwischen Menschen ausgetragen wurde, die als Mitglieder ein und des-
selben Gemeinwesens galten. Vor diesem Hintergrund wirkte schon die Be-
zeichnung eines Konfliktes als Bürgerkrieg' (gnenr czuzlc) delegihmierend,
weil sie die Spaltung einer als Einheit imaginierten Gruppe impliziertet
Der mittelalterliche zmzzgzzzzzzm des Bürgerkriegs war stark durch antike
Autoren geprägt, allen voran Lucan und Cicero, die in dramatischen Szenen
und drastischen Worten die Schrecken des römischen Bürgerkrieges in der
Zeit von 60-30 v. Chr. beschrieben und für die Nachwelt festhielten. Ihr Nar-
rativ des Bürgerkriegs zeichnete sich durch die Ballung extremer Brutalität,
die Beschreibung vieler grausamer Details und die hyperbolische Schilderung
von Blutvergießen aust Diese antiken Beschreibungen des Bürgerkriegs
waren tief im kulturellen Gedächtnis des Mittelalters verwurzelt und legten
so Beschreibungs- und Deutungsmuster fest, lange bevor sich in Frankreich

So etwa eine Bildunterschrift in den Vigdcs Karls VII. von Martial d'Auvergne: Cowiwicnt Ls
HMg/oi/s sc mooyMoicMt. FZ /'gppcdo&Mt /c roi/ de EoMrgcs. Paris, BnF, ms. fr. 5054, fol. 33?.
392 Siehe als Überblick Paravidni, Neuer Staat.
393 Stölting, Gewalt, S. 60f. Belege zur zeitgenössischen Benennung des Konflikts als Bürgerkrieg'
(gMerre dude): Vernet, Tragicum argumentum, S. 144 (§8); Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 8, 20;
Nicolas de Clamanges, Opera omnia, Bd. 2, S. 179 (Nr. 63); Christine de Pisan, Livre de la paix,
S. 135f. (111,14); Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 395f. (Lo^MHr d; tdddcdonc).
394 Zu den Darstellungsmodi des Bürgerkriegs bei antiken Autoren siehe Zimmermann, Gewalt,
S. 278-306; Götter, Abgeschlagene Hände, bes. S. 56; Münkler, Geleitwort, S. 8f.; siehe auch
Zimmermann, Extreme Formen. Zur Lucanrezeption im Mittelalter siehe Sanford, Quotations.
Siehe auch die Liste der Autoren, die Lucan rezipieren, bei Finiello, Auswahlbibliographie,
S. 558. Zur Rezeption antiker Vorlagen am Beispiel Sallusts siehe Meyer, Alte Bücher, S. 217f.
und 238-241.
 
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