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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0231

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230

IVI Problematisierungen

Mit Blick auf die verbreiteten Erklärungs- und Beschreibungsmuster von
Aufständen fällt Jean Juvenal durch seine sachlich-politische Argumentation
auf. Christine de Pisans Ratschläge zur Vermeidung von Aufständen zielten
dagegen vielmehr auf eine gesamtgesellschaftliche Tugendlehre. Wenn die
Steuern nicht zu hoch, die Kleidung nicht zu extravagant sei und wenn Blas-
phemie schwer bestraft werde, könne das Volk in Frieden und Ruhe lebend^
Aufstände waren aus dieser Sicht nicht auf politisch oder wirtschaftlich be-
dingten Unmut zurückzuführen, sondern auf mangelnde gesellschaftliche
Moral, womit sie zu Indikatoren der gestörten (politisch-moralischen) Ord-
nung wurden. Die Aufgabe des Fürsten war es, solche Störungen zu vermei-
den, oder, wenn sie auftraten, schnellstmöglich zu beheben. Die Repression
von Aufständen war damit zur Wiederherstellung der moralisch-religiösen
Gesellschaftsordnung unabdingbar.^

211.2 Gewalt als Protestmittel
Die (städtischen) Revolten, wie sie uns durch die Quellen überliefert sind,
folgen prinzipiell einem ähnlichem Ablauf. Die mitunter ritualisierten Hand-
lungen eines Aufstandes bilden eine Rahmung der Ereignisse, die nicht belie-
big ausgeweitet werden konnte.^ Kollektives Handeln und kollektive Ge-
waltausübung unterlagen also impliziten Mustern, die den jeweiligen Inten-
tionen der Aufständischen entsprachen. In diesem Sinne ist Gewalt in Auf-
ständen ein Teil der symbolischen Kommunikation zwischen Bevölkerung
und Obrigkeit.
Der geradezu idealtypische Ablauf eines Aufstands lässt sich leicht aus
den Quellen ableiten: Auf einen Anlass hin versammelte man sich an einem
prominenten Ort der Stadt. Hier wurden Reden gehalten, Meinungen gebildet
und schließlich kristallisierten sich Anführer heraus Häufig versammelte
man sich bewaffnet, wobei dies zunächst als symbolische Beteuerung der
Entschlossenheit und als Machtdemonstration zu sehen ist. Die tatsächliche
Ausübung von Gewalt war zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt intendiert
und auch nicht die Regele Während sich die ländliche Bevölkerung mit dem

42 Christine de Pisan, Livre de la paix, S. 136-138 (111,15).
42 Siehe exemplarisch: Chronique normande de Pierre Cochon, S. 300. Einer Repression konnten
Aufständische nur durch eine obrigkeitliche Anerkennung ihrer Forderung als , gerecht' entge-
hen; ein solches Beispiel schildert die anonyme Chronique des quatre premiers Valois, S. 79:
f... J fc dMC f.. J ffwf fcMrs nu'soMS jMsfcs cf poMr caMscs wo:df cuidcufcs. Car pas MC PauoicMfAd commc
CMMcmis, malz scMlcmcMf poMr csdn'ucr HMX pcn'lz. (ad a. 1358).
44 Siehe dazu Schneidmüller, Grenzerfahrung, S. 259f.; Bourin, Revoltes, S. 58f.
42 Cohn wies auf die große Bedeutung der IvNcs parofcs für den Raum nördlich der Alpen hin;
Cohn, Lust, S. 193-201. Die Chronique des quatre premiers Valois, S. 71, etwa beschreibt den
Anführer der Jacques, Guillaume Cale, als MMg Awiwic New saedHMf cf Neu perfenf, de Mfe/igMre ef
JbMrme. Belege zur Wahl von Anführern: Jean le Bel, Chronique, Bd. 2, S. 260; Chronique dite de
Jean de Venette, S. 174; Chronique des regnes, Bd. 1, S. 174.
46 Im Folgenden einige Belege für bewaffnete Versammlungen: Chronique des quatre premiers
Valois, S. 68; Chronique des regnes, Bd. 1, S. 153; Chronographia regum francorum, Bd. 2,
S. 266; Chronique normande, S. 138; Chronique dite de Jean de Venette, S. 298; Chronique du
 
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