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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0233

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232

IVI Problematisierungen

1380 entsprechend die geballte Wut der Städter, weil dieser die Steuern wie-
der einführte.^ Diese seien, so Michel Pintoin, z. B. in Compiegne deutlich
strenger als üblich eingetrieben worden. Schon früher seien hier Steuerein-
treiber verjagt und lediglich aus Respekt vor dem König mdü umgebracht
worden.56 Zusätzlich zu den Belastungen durch Steuern wurden die Bewoh-
ner der Ile-de-France durch zahllose Banden von Plünderern bedrängt, deren
Tötung ebenfalls 1380 straflos gestellt wurde. Die Pariser zwangen daraufhin
im September 1380 ihren Prcuof, dem König zu erklären, dass die Belastungen
unzumutbar seien. Als sich der noch ungekrönte Karl VI. daraufhin verwun-
dert über die Unruhe und die irreguläre Audienzbitte zeigte, verwies der
Prcuof darauf, dass die Notwendigkeit keine Gesetze kenne (necessihüem legem
non lm&ere57): Das Volk verlangte die Aufmerksamkeit des Königs. Die Szene
wiederholte sich: Einige Monate später musste der Preoof den Herzog von
Anjou bitten, den Wünschen des Volks wohlwollend sein Gehör zu schen-
kend Derartiger (gewaltloser) Druck seitens der Bevölkerung diente, wie
diese Beispiele zeigen, primär dazu, die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf
die eigenen Probleme zu lenken. Der aufgebrachten Menge wurde 1380 dann
durch den Kanzler - mit „freundlichen Worten^ wie Pintoin schreibt - das
Einlenken des Königs mitgeteilt. Das Erwünschte war zunächst erreicht und
der Erfolg wurde tumultuarisch gefeiert. Was der mittelalterliche Chronist
mit der Wendung der „unbesonnenen Untaten"6" fasste, lässt sich aus moder-
ner soziologischer Sicht möglicherweise mit dem von Randall Collins gepräg-
ten Begriff der „Vorwärtspanik" fassen: Eine Mischung aus konfrontativer
Anspannung und emotionaler Hochstimmung bricht sich Bahn in übermäßi-
ger GewaltausübungA Die Pariser brachten die Aufzeichnungen der königli-
chen Steuern sowie das gesammelte Geld an sich, zerrissen die Steuerlisten
und warfen das Geld auf die Straße, so Michel Pintoin.62 Aufgewiegelt durch
einige Adlige, die unter hohen Zinsen gelitten hätten, habe sich die kollektive
Wut auch gegen die unter königlichem Schutz stehenden Juden ge wandt.65
Pintoin berichtet weiter, dass sich nun die vielfältigen Interessen und Nei-
gungen der Aufständischen gezeigt hätten: Sie plünderten, stahlen Schmuck
oder teure Kleidungsstücke und vernichteten Schuldverschreibungen. Viele

56 Siehe dazu Autrand, Charles VI, S. 75-104, deren Darstellung vor allem auf Michel Pintoin
basiert.
56 Zum Folgenden Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 18-20.
57 Ebd., Bd. 1, S. 20.
56 Ebd., Bd. 1, S. 46. Ähnlich auch ebd., Bd. 5, S. 18 (ad a. 1413).
59 (...) pn'mo cos ucrNs EcuigMis IcwicMS (...) Ebd., Bd. 1, S. 48.
60 Scd CMW SMpcruHCMC gion'HMfMr sc pcrpchHM& NEcrfHh's occasioMcw rcsMwpsissc, cx a&pfg ;'?!& iMcpfa
ich'CM, (?MC WO^MW feuere MCSCd, iMOdMMf Ö! iMfcmpcrHMdcjHOMOn! (?MC SC^MCMfMr. Ebd., Bd. 1, S. 52.
6' Collins, Dynamik, S. 143-145.
62 Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 54.
65 Ebd., Bd. 1, S. 52-54; Chronique des quatre premiers Valois, S. 292; Chronique des regnes,
Bd. 3, S. 2f.; Juvenal des Ursins, Histoire, S. 342. Siehe dazu auch Autrand, Charles VI, S. 81. Zu
Gewalt gegen Minderheiten siehe auch Nirenberg, Communities; Bale, Feeling persecuted;
Moore, Formation, sowie Röcke, Getäuschte Blinde.
 
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