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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0246

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21 Formen kollektiver Gewalt

245

Auf der Ebene der Textgenese wird mit Blick auf die Chroniken von Jean
le Bel (verfasst ca. 1358-1362)'"", Froissart (verfasst in den 1370er Jahren)"''"
und Tainguy (verfasst 1413)'"' deutlich, wie produktiv einzelne Episoden
überarbeitet und weiterentwickelt wurden: Die Darstellung wurde jedes Mal
durch immer drastischere Vergleiche gesteigert, die /%ajMes erscheinen nach
jeder Überarbeitung noch barbarischer. Medeiros zufolge offenbaren insbe-
sondere ritterlich orientierte Chroniken mit ihren Schilderungen stärker die
Ängste der adligen Welt als die tatsächlichen Intentionen der Aufständi-
schen.^ Entsprechend zeichnen nicht alle Chroniken ein derart einseitiges
Bild der Dämonisierung der J%a?Mes: Die C/froMMjMe dife de Jean de Venehe be-
trieb Ursachenanalyse und damit Adelskritik und die Cdrom^Me des pMüüe
Premiers Vdiois zeichnete ein durchaus positives Bild des Anführers der Jec-
t?Mes, Guillaume Caie'"" (vgl. dazu S. 402-404). Diese Beispiele zeigen, dass
stereotype Gewaltbeschreibungen bewusst als narratives Mittel eingesetzt
oder weggelassen werden konnten, um beim Leser Ablehnung oder Ver-
ständnis zu evozierend^
Angesichts der Wirkmächtigkeit und der weiten Verbreitung dieser ste-
reotypen Delegitimationsformeln ist es mehr als nur eine „Reminiszenz an die
Zeit der wenn die Schilderungen der Gdwc/ncMS 1413 denjenigen
der JdoyMcne gleichen. Vielmehr hat die Zuschreibung von stereotypen Ge-
walttaten an Aufständische in der Chronistik des spätmittelalterlichen Frank-
reichs System.

211.4 Gewalt als Repression
Städtische Aufstände
Sowohl der Dauphin Karl (V.) als auch König Karl VI. warfen 1358 und 1413
den Aufständischen in Paris vor, den Adel töten und die Regierung an sich

129 Viard, Introduction, S. xiv.
130 Die Episode ist auch in frühen Redaktionen vorhanden, dürfte also direkt von Jean le Bel
übernommen worden sein, Froissart, Chroniques (Ms Amiens), Bd. 3, S. 140; Froissart, Oeuv-
res, Bd. 6, S. 45f. und 51. Zur Uberlieferungsgeschichte siehe S. 58, Anm. 45.
121 Siehe dazu S. 243f., Anm. 123.
122 Medeiros, Jacques, S. 32-36, weist dabei explizit auf die Funktionsweise der Chronik Jean le
Bels hin: „Le recit de J. le Bel fonctionne d'abord comme un recit impressioniste oü s'expriment
les peurs et fantasmes nobiliaires et que, s'il constitue un document sur la Jacquerie, il nous in-
forme bien plus sur les angoisses chevaleresques que sur les paysans revoltes eux-memes."
(S. 36).
122 Chronique dite de Jean de Venette, S. 174; Chronique des quatre premiers Valois, S. 71 und 73.
Auch die Chronique normande und die Chronographia regum francorum bieten eine ausge-
wogenere Perspektive. Siehe dazu das entsprechende Kapitel bei Medeiros, Jacques, S. 132-
149.
124 Der Hinweis von Baraz, Medieval cruelty, S. 131, dass „the reference to cruelty was not inhe-
rent in the actual events", ist insofern ungenau, als sich die ,Ereignisse' nur schwierig rekon-
struieren lassen. Seine Aussage ließe sich variieren: Jenseits der Ereignisse implizierte der Ge-
brauch bestimmter Gewaltstereotype sehr wohl Grausamkeit. Zur Frage der der Historiogra-
phie siehe Schmitt, Chroniqueurs, bes. S. 104—107.
122 Bulst, Stände, S. 130.
 
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