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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0268

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21 Formen kollektiver Gewalt

267

Landbevölkerung angesichts der gewalterprobten Krieger nur das Nachsehen
haben konnte. Thomas Basin schildert zum Jahr 1434, wie sich jede Stadt und
jede Burg in der Normandie militärisch organsiert habe, um im Notfall Plün-
derer festnehmen und der Justiz zuführen zu könnenV Dies habe den (engli-
schen) Plünderern sehr missfallen, weswegen sie sich die „übelsten Metho-
den" (modos ne/hnd/ssmzos) erdacht hätten, den Bewohnern dieses Recht wie-
der zu nehmen. In Vicques bei Saint-Pierre-sur-Dives (Dep. Calvados) massa-
krierten sie zwei oder drei Bauern, um die dortigen Bewohner zu provozie-
ren. Diese versammelten sich erbost, um die Schuldigen möglichst zu fassen
und sie dem königlichen Richter zu übergeben (so zumindest Basin). Die
Krieger aber hatten die Bauern in eine Falle gelockt, fielen nun über die Men-
ge her und töten mehr als 1300 von ihnen 3^

Brennpunkte: Tuc/nns in Südfrankreich und Briganten in der Normandie
Aus individueller Notwehr war kollektive Selbstjustiz geworden. Viele Men-
schen flohen in die Wälder und entzogen sich damit einerseits dem Zugriff
der Obrigkeit, blieben aber andererseits in einem bekannten Umfeld, in dem
sie sich auf eine gewisse Solidarität verlassen konnten.^ Die markantesten
dieser Aufstandsbewegungen waren die sogenannten Tuc/nns in Südfranke-
ich sowie die Briganten in der englisch besetzen Normandie.
Der Bezeichnung (nc/nh de &o;s taucht nach Challet zum ersten Mal in ei-
nem Begnadigungsbrief von 1376 auf und beschreibt Landbewohner aus der
Normandie, die sich in die Wälder geflüchtet hatten, um sich als Briganten
gegen Plünderer zu wehren.^ Dieser Erstbeleg war vermutlich eine lexikali-
sche Übertragung des südfranzösischen Phänomens der Tuc/nns auf den
Norden durch Kanzleischreiber, denn das erste Auftreten der Tuc/nns wird
meist 1363 in Brioude (Dep. Haute-Loire) verortet. Etymologisch führt die
Bezeichnung vermutlich auf foMcde (Gehölz, Wald, Gebüsch) zurück und
spielt damit auf den Wald als Hauptrückzugsort an3^ Auch wenn ein Rech-
nungsbuch aus dem Languedoc zum Jahr 1381 von den „Kriegern, die sich
Tndüns nennen"^ sprach, war dies vermutlich keine Eigenbezeichnung.

271 Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 198-202.
272 Dazu Roch, Guerres, S. 54f. Siehe dazu auch die Schenkung für Guillaume Eude, Oktober 1434,
ediert in der Chronique du Mont-Saint-Michel, Bd. 2, S. 47.
273 Toureille, Vol, S. 46.
274 ßrigHMf OM tMdn'M de Fois. Lohre de rewnssioM für Richard Yvon und Henri Fauvel, April 1376,
Paris, AN, JJ108, fol. 146 (Nr. 259), zitiert bei Luce, Histoire de Bertrand du Guesclin, S. 273,
Fußnote 3; Verweis bei Challet, Tuchinat, §2. Siehe auch: roMde de gens Mommez UMdgHiremeMt lM-
dn'MS OM FrigHMS, Lehre de rewu'ssioM für Gieffroy Queton, 1377, JJ 210, fol. 124^-125^ (Nr. 207), zi-
tiert nach Toureille, Vol, S. 47; siehe auch Wright, Pillagers, S. 20.
273 Challet, Tuchinat, §2; Roch, Guerres, S. 52. Die frühere Vermutung Boudets, LHcFh; leite sich
von tMe-dn'eM her, ist damit hinfällig, Boudet, Jacquerie, S. 2f. Dagegen Leguai, Revoltes rurales,
S. 59. Als zeitgenössischer Beobachter überliefert Michel Pintoin nur eine vage Herleitung: (...)
(?M; oF Nconddos moros LHcFüd diccFordHr. Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 306. Zum Motiv des
Walds siehe S. 264, Anm. 256.
276 Doms d'arwMS (?Me s'HpeFwHM TocNes. Lxhads des eomptes dM dauere (Narbonne) Le Livre de
Comptes de Jacme Olivier, Bd. 2, S. 949 (Nr. 113). Blanc weist jedoch darauf hin, dass die Worte
 
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