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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0309

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308

IVI Problematisierungen

Überträgt man diese Ergebnisse auf den französischen Ade), wird das Aus-
maß des Schreckens deutlich, das ein mit Wunden übersäter Körper ausgelöst
haben muss: Zerhackte Fürsten, blutüberströmte Gesichter und zerschlagene
Köpfe waren über den physischen Tod hinaus ein Angriff auf die adlige
Würde, vernichteten die Integrität des Körper und stellten so eine Missach-
tung adliger Werte und Tugenden dar. Gerade der Gegensatz zwischen der
herausgehobenen gesellschaftlichen Position des Opfers und seinem ver-
stümmelten Körper machte die besondere Grausamkeit der Taten aus.

Mord in der politischen Kultur
Die Morde lassen erkennen, wie personenbezogen Politik im spätmittel-
alterlichen Frankreich gedacht wurde: Die traditionellen Mechanismen der
Konfliktaustragung wurden nun um die Möglichkeit erweitert, den politi-
schen Gegner selbst physisch zu vernichten.""" Die Ausrichtung auf politisch
bedeutende Personen sowie der öffentliche Charakter der Attentate zeigen
nach Kintzinger, dass die Morde aus der mittelalterlichen Adelskultur heraus
erklärbar sind. Gleichzeitig war die strikte Durchsetzung von Einzelinteres-
sen ein neues Phänomen, das den etablierten Rahmen der Hofkultur weit
überstieg.""" Der Versuch, politische Konflikte durch einen solchen Befrei-
ungsschlag zu lösen, scheiterte jedoch nicht nur, sondern nährte eher noch
weitere Gewalt."""
Der reflexartig wiederkehrende Hinweis der Zeitgenossen auf den Hass
und die Rachegelüste der Fürsten spielt zwar auf bekannte adlige Handlungs-
und Deutungsmuster an, offenbart aber dennoch eine gewisse Hilflosigkeit
beim Versuch, das neue Phänomen zu erklären: Zumindest von den Hinter-
männern waren die Morde kalt und berechnend geplant worden.""" Schon der
Fall des Charles d'Espagne zeigte 1354, dass mächtige Hintermänner die ei-
gentlichen Attentäter wirksam vor dem Zugriff der obrigkeitlichen Justiz
schützen konnten."""" Aus struktureller Sicht ist daher der Mord an Fudwig
von Orleans 1407 weniger wegen des Attentats außergewöhnlich, als viel-
mehr wegen der ausbleibenden Begnadigungsbitte des Urhebers.""^ Die de-
monstrative Verweigerung jeder Reue durch Johann Ohnefurcht sowie die
Aktualisierung des antiken Tyrannenmordkonzepts durch Jean Petit zeigten,
dass sich neben den Mitteln der politischen Auseinandersetzung auch dessen
Fegitimationsgrundlage wandeln konnte.""*" Der Rekurs auf das Motiv des
Tyrannenmords blieb allerdings vorerst Episode: Gerade weil der Dauphin
1419 auf jede Rechtfertigung verzichtete, dürfte jedem klar gewesen sein, dass

200 Vor allem die Morde von 1407 und 1419 werden häufig mit einer weitgehend ausweglosen
politischen Lage erklärt: Minois, Couteau, S. 60; Schnerb, Armagnacs, S. 91.
Kintzinger, Maleficium, S. 76, 79 und 90-93.
202 Ebd., S. 73; Guenee, Meurtre, S. 14.
203 Kintzinger, Maleficium, S. 87; Guenee, Meurtre.
204 Guenee, Meurtre, S. 184—188.
205 Ebd., S. 16.
206 Kintzinger, Maleficium, S. 72.
 
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