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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0366

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21 Körper und Körperlichkeit

365

1413, als er die Hand Johanns Ohnefurcht berührte, anstatt wegen seiner in-
famen Stellung angemessen Abstand zu halten.^ In beiden Fällen mussten die
Männer die Missachtung körperlicher und sozialer Distanz mit ihrem Leben
bezahlen, was den Chronisten durchaus angemessen schien.
Die Gesellschaft des spätmittelalterlichen Frankreich war äußerst sensibel
gegenüber sozialen oder ständischen Grenzüberschreitungen, bei denen auch
Körperlichkeit eine große Rolle spielte. Entsprechend setzte man derartige
Ehrminderungen bewusst ein, um eine zusätzliche Erniedrigung zu erreichen
- etwa in Form von Nacktheit bei Strafriten (vgl. dazu S. 247 und 260, sowie
Abb. 2 auf S. 434). Im Folgenden soll jedoch der Blick auf physische Verlet-
zungen gelenkt und nach ihren Darstellungsweisen und Bedeutungsebenen
gefragt werden.
Eingebettet in Kampfschilderungen finden sich durchaus drastische Be-
schreibungen von Verletzungen, deren narrative Funktion jedoch nicht im-
mer klar zu deuten ist. So schildert Froissart ausführlich, wie Jehan d'EHenes
während der Schlacht von Poitiers 1356 dem Baron von Berkeley sein Schwert
bis zum Griff in den Oberschenkel stieß und ihn damit bewegungsunfähig
machte.^ Die Schmerzen, die der Baron dabei ausgestanden haben muss,
werden vollständig verschwiegen. Vielmehr klären die Krieger sachlich und
nüchtern die Formalien der Gefangennahme: Jehan habe sich mit den Worten
„Es scheint mir, dass ihr schwer verletzt seid" an den Engländer gewandt.
Dieser bestätigte daraufhin, dass er rechtmäßig besiegt worden sei. Tatsäch-
lich entwickelt sich die Schilderung Froissarts immer mehr zu einem Lehr-
stück einer formal richtigen Gefangennahme: Jehan zog das Schwert aus dem
Bein seines Gegners, wo eine offene Wunde zurückblieb, die er notdürftig
versorgte. Dann wurde der Gefangene vom Schlachtfeld geführt und 15 Tage
lang „aus Liebe" gepflegt. Er verblieb auch während seiner einjährigen Gene-
sung bei Jehan. Die Schilderung dieser Verwundung gab Froissart die Mög-
lichkeit, das Ideal gegenseitiger Achtung und Verlässlichkeit unter Rittern
beispielhaft illustrieren zu können. Die Verletzung des Barons wurde daher
nur soweit beschrieben, wie sie für das Exempel notwendig war: Die offene
Wunde erforderte eine lange Pflege, die der Sieger des Kampfes für seinen
Gefangenen wie selbstverständlich auf sich nahm. Nach der Zahlung des
Lösegelds gingen dann beide wieder ihrer Wege: Der eine als dauerhaft Ver-
sehrter, der andere aufgrund des hohen Lösegelds als reicher Ritter, wie
Froissart lapidar festhielt.
Ähnlich exemplarisch dürfte Froissarts Schilderung sein, wie Olivier de
Clisson in der Schlacht von Auray schwer am Auge verwundet wurde, aber
kampfesbegierig wieder in die Schlacht rittV Dass Olivier seine Verletzung

So zumindest in der Darstellung von Juvenal des Ursins, Histoire, S. 543., Textzitat auf S. 332,
Anm. 95.
i5 Froissart, Chroniques (SHF), Bd. 5, S. 51f. (I, 391). Zu dieser Episode knapp Prietzel, Tod, S. 87.
1? So zumindest in der zweiten Redaktion nach dem Manuskript von Amiens: Ti froMUH dHrcmcrd
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