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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0371

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370

VI Vertiefungen

wert ist jedoch, dass der Bourgeois gerade das Verstümmeln der Toten als un-
christlich empfand - und nicht das Töten der Gefangenen. Das Verstümmeln
scheint hier gegenüber dem Töten das größere Tabu gewesen zu sein, wo-
möglich sogar eines der wirkmächtigsten Sinnbilder für die entgrenzte
Kriegsführung schlechthin. Auch Enguerrand de Monstrelet stellt den Um-
gang mit dem Körper eines Toten als Symbol für die Grausamkeit einiger
Krieger und als Beleg für die Maßlosigkeit dar, mit der mittlerweile der Bür-
gerkrieg geführt wurde .42
Grausamkeit und Unmenschlichkeit scheinen in den Augen der Zeitge-
nossen nicht so sehr durch die Todesart an sich bedingt gewesen zu sein. Das
während des Bürgerkrieges häufig überlieferte Ertränken von Gegnern - sei-
en es adlige Söldnerführer oder gegnerische Soldaten - wurde nie explizit als
unmenschlich oder grausam benannt (vgl. dazu S. 339-341). Es mag ein Mittel
gewesen sein, Menschen zu entehren oder sie unauffällig verschwinden zu
lassen, der Körper des Opfers aber blieb unversehrt. Grausam hingegen war
es, den Körper des Gegners mutwillig zu entstellen.

213 Blut
Die Einstellung zum Blut war im Spätmittelalter zutiefst ambivalent: Auf
religiöser Ebene löste der leidende Jesus in der gotischen Kunst den C/insüts
biMOzy/üms der romanischen Kruzifixe ab: Dem blutüberströmten Gekreuzig-
ten standen seit dem 13. Jahrhundert seine Schmerzen buchstäblich ins Ge-
sicht geschrieben. Im 14. Jahrhundert kam noch das Motiv des ,Christus in
der Kelter' dazu, das Jesus in einer Weinkelter darstellte, in der sein Körper
selbst zur Traube, sein Blut zum Wein wurde.43 Das Blut Jesu wurde über
Blutreliquien hinaus auch auf religiösen Bildern zum Objekt der Andacht und
Verehrung. Im Alltag der Menschen dagegen scheint Blut weitgehend tabu-
isiert gewesen zu sein: Berufe, die Blutvergießen bedingten (Henker, Schlach-
ter), wurden zunehmend infamisiert und Klerikern war bereits 1215 jegliche
Berührung mit Blut verboten worden^ Kurz: Blut galt als unrein.
In Literatur, Kunst und Historiographie wurde Blut damit zu einem hoch
signifikanten Motiv, auch wenn sich dies in verschiedenen Textgattungen
unterschiedlich niederschlug: Während Blut in hochmittelalterlichen Ritter-
romanen omnipräsent war, reduzierte sich seine Nennung im 14. und

42 Nach der Schilderung von Monstrelet, Chronique, Bd. 2, S. 245f., nahmen einige als gierig und
grausam beschriebene Burgunder 1412 u. a. einen jungen Knappen gefangen, den sie, als sie
ihr Lager auflösten, töteten und in den Wassergraben der nahen Abtei warfen, um ihn dann
mit einem Holzstück aufzuspießen und am Boden des Grabens aufzustellen.
42 Siehe dazu Royt, Mystikerkruzifixe, mit weiterer, kunsthistorischer Literatur, sowie Bildhauer,
Blood, S. 61-63 und Mills, Suspended animation, S. 7f. Zur spätmittelalterlichen Martyriums-
darstellungen siehe Dittmeyer, Gloria passionis.
44 Vgl. Nassiet, Violence, S. 43f. und 112f. Auf dem Vierten Laterankonzil wurde Klerikern die
Beteiligung an Todesurteilen, die Kriegsführung wie auch die Ausübung der Chirurgie verbo-
ten, was jegliche Berührung mit Blut verhindern sollte, Konzilien des Mittelalters, S. 244 (can.
18).
 
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