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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0383

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382

VI Vertiefungen

Zeremonie äußerst prächtig aus, womit er die Getöteten zu „Märtyrern" sei-
ner politischen Sache erhob.'""'
Eine nähere Beschreibung der jahrelang der Witterung ausgesetzten Kör-
per jedoch entbehrte für die diesseits- und handlungsorientierte Historio-
graphie jeglicher Relevanz und blieb somit poetischen Werken Vorbehalten,
so der vermutlich 1462 entstandenen des pendMS Frangois Villons, die
drastisch die ausgetrockneten und von der Sonne verbrannten Leichen be-
schrieb, denen Vögel bereits die Augen ausgehackt hatten.'"^ Wilde Tiere, die
unbeerdigt gebliebene Körper anfraßen, gehörten wiederum auch in der His-
toriographie zum festen Inventar der Schreckensbilder. So berichtet Monstre-
let zum Jahr 1411, man habe die Leichen der damals exkommunizierten Ar-
magnacs aus der Stadt gebracht, dort in Gräben geworfen und sie dann „un-
menschlich" den Hunden, Vögeln und anderen Tieren überlassen.^ Ähnli-
ches wurde über den Umgang mit den Opfern der Massaker 1418 berichtet,
was gleichzeitig als deutliche Kritik an den mordenden Parisern gelesen wer-
den muss."""
Die Anwendung dieses Musters auf eine einzelne Person bedeutete ge-
genüber der kollektiven Anonymität eine Steigerung, wobei der Tod Karls
des Kühnen hierfür das markanteste Beispiel sein dürfte: Nach der 1477 ge-
gen die Niedere Vereinigung verlorenen Schlacht von Nancy blieb der bur-
gundische Herzog zunächst verschollen. Nach längerer Suche habe man ihn
dann nackt, von Wölfen angefressen und mit dem Gesicht am Boden fest ge-
froren gefunden. Als man ihn auf den Rücken gedreht habe, sei seine Ge-
sichtshaut abgerissen, so dass nur enge Vertraute ihn anhand verschiedener
körperlicher Merkmale haben identifiziert können.""" Wenngleich Karl nicht
absichtlich auf dem Schlachtfeld zurückgelassen wurde, sondern vielmehr
von einem der Sieger, Rene II. von Lothringen, gesucht und ehrenhaft be-
stattet wurde, vereinte sein Schlachtentod doch eine Vielzahl von Ängsten
und Schreckensbildern: Neben der körperlichen Verstümmelung war vor

106 Siehe dazu vor allem den ausführlichen Bericht in der Chronique des regnes, Bd. 1, S. 131-134.
Kürzer auch in der Chronique dite de Jean de Venette, S. 160; Chronique des quatre premiers
Valois, S. 65; Chronographia regum francorum, Bd. 2, S. 269; Chronique normande, S. 126;
Chronique de Richard Lescot, S. 116f.
107 Lg piui/e MOMS a esduez td iauez / Lf ie sofeif deseediez ef Moirciez / Pies, cordeaufx, Mous OMf /es i/eux
cauez / Li arraede ia darde ef /es soMrdiz. Le Lais Villon, Bd. 1, S. 66, V. 21-24 (Baffade des peMdus).
ioo Ln ee femps auoif en Paris, ou Cdasfeiief ei aMfres prisoMS de ia uiiie, fres graMf Momdre de prisoMMiers
OrieaMMois, des^ueiz fres graMf parfie wouroieMf wiseradieweMf par^rrce de^oid de mesaise ef dejä-
mine. Lf apres tpLifz esfoieMf mors, OM ies porfoif dors de ia uiiie de Paris ef ies geefoif eM aucuMsyrssez
ef ia ies faissoif OM weMger des cdieMS, des oiseauix ef des aufres desfes fres iMdumaiMemeMf. Lf ia cause
pour ou feMoif feiie waMiere coMfre euiz, si esfoif pour ce ^ue piusieurs ef diuerses^riz auoieMf esfe
pudiiez ef deMOMcez par ies egiises ef ^uarre/burs de iadiefe uiiie de Paris comme excowweMiez. NeaMf-
woiMS a piusieurs preudowwes, faMf Modies cowwe geMS d'egiise ce semdioif esfre graMf desrisioM de aiM-
si pifeuseweMf fraiefer ceuix tpu esfoieMf cdresfieMS ef feMoieMf ia Jbi/ de Jdesucrisf. Monstrelet, Chro-
nique, Bd. 2, S. 224f.
ioo Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 248-250; Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 85;
Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 266.
no Basin, Louis XI, Bd. 2, S. 344; Molinet, Chroniques, Bd. 1, S. 167f.; Journal de Jean de Roye,
Bd. 2, S. 40-42; Philippe de Commynes, Memoires, S. 355 (V,8). Siehe dazu Brachmann, Memo-
ria, S. 41f.; Prietzel, Tod, S. 64; Mugnier, Desconfiture; sowie Vaughan, Charles the Bold, S. 432.
 
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