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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0384

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21 Körper und Körperlichkeit

383

allem das Motiv der menschenfressenden Wölfe fest im Imaginarium der
Zeitgenossen verwurzelt und symbolisierte das Elend und die Ausgezehrtheit
des Landes.^
Jemanden unbeerdigt zu lassen implizierte, ihn den Wölfen oder anderen
wilden Tieren auszuliefern. Schlimmer noch als die Passivität einer verwei-
gerten Bestattung war aber die mutwillige Verstümmelung von Leichen, wes-
wegen es dem Bourgeois als „große Unmensch!ichkeit"'^ erschien, dass ar-
magnakische Krieger 1434 selbst ihren toten Gegnern noch die Kehlen durch-
schnitten. Jenseits aller Überlegungen um spezifische Kriegsmodi (vgl. dazu
S. 369f.) verletzte die post mortem vollzogene Verstümmelung der Gegner
genau jene Sensibilität, die von Kriegern gegenüber ihren Gegnern (insbe-
sondere unter Christen) erwartet wurde."'''
Aus den aufgeführten Beispielen wurde bereits deutlich, dass der Umgang
mit Leichen von den Chronisten zum Maßstab erhoben wurde, an dem die
Güte des moralisch-sozialen Verhaltens der Lebenden gemessen wurde. Aber
auch den Leichen selbst wurde ein Zeichen- oder Beweischarakter zugespro-
chen, so dass ihre äußere Erscheinung symbolhaft gedeutet werden konnte.
Ausbleibende Verwesung deutete traditionell auf einen gottgefälligen Tod
oder sogar Heiligkeit hin - ein Schicksal, das Michel Pintoin etwa den 1396 in
Nikopoiis getöteten Christen zu Teil werden ließd^ Chastellain mag eine ähn-
liche Verklärung im Sinn gehabt haben, als er aus der Retrospektive die Ex-
humierung Johanns Ohne furcht schilderte. Als Montereau 1420 von den
Bourguignons eingenommen wurde, exhumierten diese den toten Herzog,
um ihn standesgemäß zu bestatten. Der Anblick des einfach vergrabenen
Herzogs habe die Anwesenden derart gerührt, dass sie mit ihren Tränen seine
Wunden hätten waschen wollen. Diese aber hätten angefangen zu bluten, als
ob der Herzog erst am Vortag getötet worden sei."''
Neben der Reinheit beziehungsweise Reinigung der Wunden fällt hier vor
allem der Aspekt der blutenden Leiche auf. Das Bild des blutenden Leich-

''' Juvenal des Ursins, Ecrits, Bd. 1, S. 310 (To^MHr üipM/HdoMe), spielt aut Wölfe an, die Kinder
stehlen und fressen; der Bourgeois de Paris berichtet gleich mehrfach von Wölfen, die sich Sied-
lungen nähern und Leichen fressen: Journal d un Bourgeois, S. 170f. (§312) (ad a. 1421), S. 172
(§315) (ad a. 1421), S. 202 (§386) (ad a. 1423). Zum Motiv der Wölfe siehe Bove, Violence,
S. 126f.; Toureille, Vol, S. 135; Gauvard, Grace espedal, S. 212f.; Dommanget, Jacquerie, S. 23f.
Journal d un Bourgeois, S. 329 (§638), Textzitat auf S. 369, Anm. 40.
n2 Vor demselben Hintergrund wurde der grobe Umgang mit den Leichen Philipps van Artevel-
de 1382 und Bernards VII. von Armagnac 1418 negativ bewertet; zu Philipp van Artevelde:
Proissart, Chroniques (liv. I & II), S. 929 (11,90); Chronique des quatre premiers Valois, S. 307;
Juvenal des Ursins, Histoire, S. 356; Chronique du Religieux, Bd. 1, S. 226-228. Zur Verstüm-
melung von Bernards von Armagnac: Journal d un Bourgeois, S 116 (§200), siehe auch ebd.,
S. 126 (§220), sowie S. 253f. dieser Arbeit,
ui Chronique du Religieux, Bd. 2, S. 518-520.
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/auf mo;'s passes (?MC /e CHS Hdumf. Chastellain, Oeuvres, Bd. 1, S. 144.
 
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