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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0410

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31 Ideal und Devianz

409

niken überliefert^ und sogar den Hinweis des entsetzten Bourgeois, Jeanne
habe Männer geschlagen, wandelte Jean Chartier zum Beweis ihrer Tugend-
haftigkeit - und gleichzeitig zur Erklärung für ihr späteres Scheitern: Mit
ihrem Speer, der in einer Kirche in Sainte-Catherine-de-Fierbois (Dep. Indre-
et-Loire) auf ihre Weisung gefunden worden war und der ihr als Symbol ihrer
Mission galt/^ habe sie sie einige Krieger wegen des Besuchs von Prostitu-
ierten und anderer Verfehlungen so stark geschlagen, dass dieser zerbrochen
sei - womit ihre Erfolge geendet hätten '^ (siehe Abb. 9, S. 440f.).
Bei der Gegenüberstellung der unterschiedlichen Bewertungen Jeannes
fällt zunächst auf, dass sowohl kritische als auch ihr wohlgesonnene Chro-
nisten in hohem Maße dieselben Begebenheiten und Motive verarbeiteten/^
deren Reihe man noch fortsetzen könnte (so anhand der Verletzungen Jean-
nes im Kampfe). Positive und negative Charakterisierungen werden nur in
wenigen Fällen durch gezieltes Ausführen oder Weglassen einzelner Epi-
soden erzielt (so der Verweis auf Franquet d'Arras). Stattdessen werden Jean-
nes Handlungen und ihr Auftreten zwar inhaltlich übereinstimmend be-
schrieben, aber konträr bewertet.
Auch auf Schilderungen von Gewalt beschränkt bieten die Chroniken ein
recht kohärentes Bild: Jeanne trug eine Rüstung und agierte als Anführerin,
kämpfte aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht oder nur selten selbst aktiv
mit. Der Funktion eines Cay/hnne gemäß versuchte sie jedoch, die Krieger zu
führen und notfalls durch Schläge zu disziplinieren. Burgundische Chronis-
ten verurteilten diese Handlungen als unangemessen und grausam, was sie
mit Jeannes Geschlecht begründeten. Damit wurde die von ihr ausgeübte
Gewalt jedoch nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern lediglich Männern als
legitim zugestanden. Jeanne überschritt daher aus dieser Sicht durch ihr Ver-
halten die Grenzen dessen, was für eine Frau als ,normal' galt. Die dadurch
provozierten Reaktionen mussten jedoch keineswegs negativ ausfallend? Der
Blick auf die ihr positiv gesinnten Quellen zeigt, dass dieselben Handlungen
auch positiv bewertet werden konnten und Jeanne zu einer hervorragenden
Heerführerin, ja zur Heldin machten: Ihr Körper konnte als stark beschrie-

152 Chronique de la Pucelle, S. 282f.
153 ygi Proces de condamnation, Bd. 1, S. 76-78; Chartier, Chronqiue, Bd. 1, S. 69-71. Siehe dazu
Beaune, Jeanne d'Arc, S. 157-163; Krumeich, Jeanne d'Arc et son epee.
154 Pt csfoif d?osc Mofohc (?MC, depMis (?MC /addc cspA/d rompMC, /adifc JÜMMMC ne prospüa armes HM
proM/h'f dM roi/ Me HMfrcMtmf, muss; MMC par HUHMf auoif /ad. Chartier, Chronqiue, Bd. 1, S. 123, siehe
auch ebd., S. 90.
155 Simon-Muscheid, Gekleidet, hat als maßgebliche Aspekte von Jeannes Selbst- und Fremd-
wahrnehmung ihre Jungfräulichkeit, den Transvestismus und ihre Normverletzungen heraus-
gearbeitet. Siehe auch Warner, Joan of Are, S. 7.
i55 Auf Jeanne wohlgesonnener Seite unter Betonung ihrer Tapferkeit: Chronique de la Pucelle,
S. 291f., 301f.; Chartier, Chronqiue, Bd. 1, S. 72 und 109; Chroniques de Perceval de Cagny,
S. 167; Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 146. Kritisch, teils mit Verweis auf ihre Flucht: Monstrelet,
Chronique, Bd. 4, S. 355; Jean de Wavrin, Recueil, Bd. 3, S. 340; Chronique de Jean le Fevre,
Bd. 2, S. 149, Anonyme (wohl wallonische) Fortsetzung der Chronik Sigeberts von Gembloux,
Paris, BnF, ms. fr. 23018, fol. 486', vgl. Brassart, Mission, S. 154; Journal d un Bourgeois, S. 266
(§519). Siehe dazu Contamine, Blessures; Beaune, Jeanne d'Arc, S. 144f.
15? Siehe dazu auch Beaune, Jeanne d'Arc, S. 178-192.
 
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