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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0415

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414

VI Vertiefungen

äußerst selektiven Wahrnehmung religiöser Ideen durch das Rittertum.'^ Tat-
sächlich schien Gilles um sein Seelenheil im christlichen Sinn besorgt und
verlangte, seine Sünden zu seiner eigenen Schande auf Französisch publik zu
machen, damit er leichter Vergebung bei Gott finde (entgegen der ursprüng-
lichen Ankündigung des Bischofs, die Taten auf Latein zu veröffentlichen)
Während desselben Verhörs empfahl Gilles wiederum allen Anwesenden, der
Kirche immer treu zu dienen und zu folgen, denn auch er hätte ohne sie nie
den Verlockungen des Teufels entkommen können. Auch sollten sie ihre Kin-
der gut erziehen und selbst maßvoll [eben V
Man mag dies entweder für Verblendung oder für Zynismus halten, aber
Gilles de Rais sah sich offenbar als ,Erretteter' oder geläuterter Sünder, der
nun sein Erfahrung weitergeben wollte. Er selbst erklärte sein Handeln damit,
dass er sich schon seit seiner Jugend ohne Zurückhaltung allem Bösen hinge-
gebert'^ und sogar versucht habe, von seinen Taten abzulassen und als Sühne
nach Jerusalem zu pilgernd^ Die Anklageschrift konterte mit dem klassischen
(biblischen) Rückfalltopos, dass Gilles seine Morde fortgesetzt habe, „wie ein
Hund nicht vom Erbrochenen lassen könne.Die Suche der Richter nach
einer rationalen Erklärung scheiterte, weil Gilles de Rais entweder nicht wil-
lens oder nicht in der Lage war, eine solche zu geben. Damit ließ er seine
Zeitgenossen ratlos zurück.
Diese Ratlosigkeit mag auch den Großteil der Chronisten, darunter Gilles
le Bouvier, Thomas Basin, Robert Blondel, Guillaume Gruel, den Bourgeois
und Olivier de la Marche, dazu bewogen haben, den Prozess gegen Gilles de
Rais schlicht zu verschweigen: Zu schrecklich und ungeheuerlich musste
ihnen der Fall erscheinen, als dass er der Überlieferung an die Nachwelt wür-
dig gewesen wäre.^s Die wenigen historiographischen Berichte, die den Pro-
zess thematisieren, zeigen das Problem der Chronisten sehr deutlich: Enguer-
rand de Monstrelet leitete seinen Exkurs über den Prozess mit den Worten
ein, in der Bretagne habe sich „eine sehr weitreichende, bizarre und wunder-
same Begebenheit"ereignet, Jean de Wavrin steigert dies zu einer „schreck-
lich anzuhörenden und zu erzählenden" ^7 Begebenheit. Es war vor allem der

Huizinga, Herbst, S. 250; Kaeuper, Chivalry and violence, S. 47. Siehe dazu auch Heers, Gilles
de Rais, S. 203.
iw Bossard, Gilles de Rais, S. XLVIIIf. (Geständnis, 22.10.1440).
191 Ebd., S. LVIIf. (Geständnis, 22.10.1440).
192 Ebd., S. XLVIII (Geständnis, 22.10.1440). Siehe dazu Parsons, Sympathy, S. 125f.
193 Bossard, Gilles de Rais, S. XXVIIf. (Anklage §38, 13.10.1440), siehe auch ebd., S. CXLVIII-CLI
(Stiftungsbestätigung Gilles' de Rais, 26.03.1435). Siehe dazu Huizinga, Herbst, S. 250.
194 Rom, td MidnlowiMMS, prodiAns /MniMioMfo, uoto of prowissioMO MOM oiiskiMühMS, dopost prodiAns
Egidäis, roiis, äiMi/MHMi oiMi's ad uoMMfMMi porsouoroMS, phiros iii/iiMfos MMSoidos of iocis SM-
p nid; Ais hdniMMMdor /Mgidaud <4 fnioidgud. Bossard, Gilles de Rais, S. XXVIII (Anklage §39,
13.10.1440). Vgl. 2 Petr 2,22: CoMÜgd OMMM o;s dhid uor; prouorA; oiMi's rouorsMS ad SMMMi uoiMÜMMi.
i93 Dazu Parsons, Sympathy, S. 125-130.
i9o Lino fros gniMdo, dioorso ot MicriidcHSO gduoMfMro. Monstrelet, Chronique, Bd. 5, S. 425.
192 Lino cdoso Mioruod/oMso J...J of dorn'Mo a oi/r mooMfor, A püis osMioroodiaido i?M0 OM ZoMgiio ospaoo
paniUHMf OM MHfoif UOMO MO oi/o 0M MM^o dos parhos du roi/HM/Mio do PniMOO. Jean de Wavrin, Recueil,
Bd. 4, S. 285f. Die Chronik Monstrelets dürfte Jean de Wavrin als Vorlage gedient haben, Zin-
gel, Frankreich, S. 73f.
 
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