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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0422

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31 Ideal und Devianz

421

bleiben, da man sonst um die Beziehung der Menschen zu Gott fürchten
musste.
Der Vorwurf, Adlige zu töten symbolisierte die Verletzung von Standes-
grenzen und stellte so die ständische Gesellschaftsordnung als gefährdet dar.
Häufig wurde vor allem Aufständischen von Chronisten das vermeintliche
Ziel unterstellt, durch die Ausrottung des Adels die (gottgegebene) Ordnung
Umstürzen zu wollen.^ Die Leser sollten so grundsätzlich gegen eine Rebel-
lion eingenommen werden, womit sich jede Reflexion etwaiger sozialer oder
politischer Ursachen des Aufstands erübrigte.
Eine Steigerung konnte dieser stereotype Vorwurf dadurch erfahren, dass
speziell Frauen und Kinder als Opfer benannt wurdenA" Hier mischten sich
ständische und soziale Aspekte: Während in Aufstandsschilderungen oft der
ständische Unterschied zwischen adligen Opfern und nicht-adligen Tätern
betont wurde,241 galten Frauen und Kinder als grundsätzlich schutzbedürf-
tig.242 Übergriffe auf sie verletzten insofern soziale Tabus, da Frauen und Kin-
der die Sicherung des gesellschaftlichen und biologischen Fortbestands der
Gesellschaft verkörperten.^ Das Schänden von Jungfrauen beziehungsweise
das Töten von Schwangeren bedeuteten aus dieser Logik heraus eine weitere
Steigerung: Die Jungfräulichkeit einer Frau war einer der Garanten für eine
spätere, standesgemäße Hochzeit; ihre Vergewaltigung tangierte daher nicht
nur das Individuum, sondern zugleich die Ehre der ganzen Familie. Eine
schwangere Frau dagegen dürfte das Symbol zukünftigen Lebens gewesen
sein, das unantastbar sein sollte.
Grundsätzlich zielten die Stereotype also auf Handlungen, die wegen ihrer
Missachtung religiöser oder sozialer Grundsätze dem kollektiven Interesse
zuwiderliefen. Als Alain Chartier in seinem QuadnlogMC die Personifi-
kation Frankreichs klagen ließ, die Engländer würden gegen die Frauen und
Kinder der Franzosen vorgehen, setzte er auf die Wirkmächtigkeit dieses
Bildes, dass letztlich alle als Betroffene ansprach.^ Mit Verweisen auf ge-
plünderte Klöster, geschändete Jungfrauen und tote Adlige wählten die Au-
toren bewusst Motive, die zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Zusam-
menlebens ebenso wie kollektive Werte als gefährdet darsteüten.^
Grundsätzlich erweisen sich die Gewaltstereotype im Untersuchungszeit-
raum als recht stabil, sie unterlagen dabei langfristig jedoch durchaus einem

239 Siehe S. 239 dieser Arbeit.
240 Dass dies tatsächlich als Steigerung aufgefasst wurde, zeigt die Chronique des quatre premiers
Valois, S. 71, bei der Schilderung der JgcpMcn'c: CoHnncnf SMS HMX MoNcs dommcs cf CM occfsfrcMf
p/MsicMrs cf CMCorcs/ircMf dz pis commc gcws dcsucz cf Jorccwcz cf de pefff cusicMf. Car Jcwwcs ef cp/äns
MoNes wdsfrenf p/MsicMrs a wiorf. Siehe auch Chronique dite de Jean de Venette, S. 176. Zum Vor-
wurf der Vergewaltigung: Saunders, Sexual violence, S. 153f.
244 Chronique dite de Jean de Venette, S. 176, Textzitat auf S. 240, Anm. 107. Siehe dazu auch
Mauntel, Legitimität, S. 96-100.
242 Siehe dazu S. 240f., Anm. 106 und 109.
243 Siehe dazu S. 241, Anm. 113.
244 Chartier, Quadrilogue, S. 24.
245 Gauvard, Grace especial, S. 219, 719-722 und 813-815; Gauvard, Violence et ordre public,
S. 12f. und 281; Gauvard, Rumeur [2000], S. 284; Kaeuper, Chivalry and violence, S. 210-219.
 
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