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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0447

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VIII Schlussfolgerungen

durch die Armagnacs, das Massaker der Bourguignons an vermeintlichen
armagnakischen Gefangenen von 1418 in Paris sowie das Auftreten Jeanne
d'Arcs konnten sowohl positiv als auch negativ gedeutet werden. Hier er-
weist sich die Spaltung der französischen Gesellschaft im Gefolge des Bür-
gerkriegs als prägend: Die divergierenden Bewertungen dieser Ereignisse
verliefen entlang der Parteien der Armagnacs und der Bouguignons. Die Be-
schreibung und Beurteilung von Gewalt wurde im politischen Streit zum
gezielt einsetzbaren Argument.
Beklagt und kritisiert, gelobt und gefeiert wurde also nicht die Gewalt
selbst, sondern die Umstände ihrer Ausübung. Die Divergenz der Wertungen
beruhte dabei auf einem relativ statischen System von Bewertungsprinzipien,
auf das ein Autor je nach Intention zurückgreifen, es aber nicht willkürlich
ändern konnte. Die Verdammung oder Rechtfertigung einer Tat musste auf
plausiblen und anerkannten Kriterien fußen, die vor allem mit dem Status der
Beteiligten und dem Modus der Ausführung zusammenhingen.
Der Stand oder allgemeiner die Position im sozialen Gefüge entschied so-
wohl über die Berechtigung zur Gewaltausübung als auch über den Grad der
allgemeinen Bestürzung, wenn man Opfer wurde. Von Adligen über profes-
sionelle Söldner und städtische Milizen bis hin zu einfachen Stadt- und Land-
bewohnern unterlag die Akzeptanz von Gewalt feinen Abstufungen, deren
Maßstäbe einerseits die individuell zugeschriebene Ehrbarkeit beziehungs-
weise ein gutes oder schlechtes Renommee und andererseits Alter, Geschlecht
und Wehrhaftigkeit waren. Der Adel erweist sich in dieser Hinsicht als regel-
rechte Gewaltgemeinschaft, die sich durch Gewaltausübung definierte und
stärker als andere Gruppen von ihr fasziniert war. Es machte in den Augen
der Zeitgenossen einen bedeutenden Unterschied, ob ein Adliger einen Stadt-
bewohner tötete oder ein Stadtbewohner einen Adligen. Am Beispiel Jeanne
d'Arcs zeigt sich zudem, dass auch das Geschlecht zum Kriterium für die
Bewertung werden konnte - wobei die Wertung jedoch keineswegs von
vornherein festgelegt gewesen wäre: Die Verkörperung weiblicher Gewalt-
ausübung durch Jeanne wurde sowohl gelobt als auch verdammt.
Uber die Verortung der Akteure hinaus beeinflusste auch die Art und
Weise der Gewaltausübung, auf wie viel Akzeptanz eine Handlung stieß:
Dabei spielten Tageszeit und Ort einer Handlung ebenso eine wichtige Rolle
wie die Symmetrie und Verhältnismäßigkeit der Gewaltausübung: Heimliche
Taten im Schutz der Dunkelheit galten tendenziell als gravierender als öffent-
lich sichtbar ausgeübte Gewalt. Gleiche Voraussetzungen unter den Gewalt-
ausübenden, etwa im Kampf oder im Duell, führten in den meisten Fällen
ebenso zu Akzeptanz wie Handlungen, die eine als angemessen empfundene
Reaktion auf eine vorherige Beleidigung oder Benachteiligung darstellten.
Somit stellte die Verhältnismäßigkeit der Gewalt den positiven Gegenpol
zum ,Exzess' dar. Als besonders sensibel erwies sich die Gesellschaft vor al-
lem gegenüber Verletzungen und Verwundungen des Körpers, die gemessen
am (adligen) Ideal eines starken, unversehrten Körpers als ,unmenschlich'
galten. Die mutwillige Verstümmelung eines Gegners (etwa bei seiner Er-
 
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