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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0449

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448

VIII Schlussfolgerungen

Fremdeinschätzung kam dem Adel die Aufgabe zu, die Gesellschaft - auch
durch Gewalt - zu schützen. Damit ging eine rechtlich-moralische Vorrang-
stellung einher, nach der dem Adel sowohl das Recht als auch die Pflicht zur
Gewaltausübung zugeschrieben wurde."
Auch exzeptionelle Formen von Gewalt fanden Akzeptanz oder konnten
sogar als gerecht oder notwendig dargestellt werden: Die Taten von Helden-
figuren wie Bertrand du Guesclin oder Grand Ferre wurden mit großer Be-
wunderung geschildert; auch verschärfte Formen der Strafgewalt, wie die
Verbrennung eines jungen Mannes in Brüssel um 1450 galten als angemesse-
ne und notwendige Form der Bestrafung. Die Akzeptanz der Gewalt hatte
jedoch relativ klar definierte Grenzen, bei deren Transgression man zuneh-
mend sensibel reagierte, so etwa wenn mutwillig in Kauf genommen wurde,
das ,Zivilisten' zu Opfern wurden. Ab diesem Punkt bestand für Gewalttaten
besonderer Legitimationsbedarf, was allerdings keineswegs heißt, dass das
etwa Töten von Frauen und Kindern grundsätzlich negativ beurteilt wurde.
Die blutige Einnahme von Soissons 1414 durch armagnakische Truppen wur-
de keineswegs geleugnet, sondern konnte sowohl als gerecht dargestellt
(Thomas Basin) als auch zum Kriegsgräuel stilisiert werden (Michel Pintoin).
In der Tendenz jedoch verletzte Gewalt gegen Wehrlose genau die Vorstel-
lungen von Transparenz und Angemessenheit, auf denen legitime Gewalt
beruhte.
Die Quellen zeigen deutlich, dass die Menschen des 14. und 15. Jahr-
hunderts ihre Zeit als außergewöhnlich gewalttätig darstellten. Die stete
Wiederholung schreckenerregender Stereotype sowie die Zuschreibung von
ehemals mit fremden ,Barbaren' assoziierter Grausamkeit an die eigene Ge-
sellschaft prägen die schriftliche Überlieferung. Der Exzess, also die jedes
Maß übersteigende Gewalt, galt den Zeitgenossen als Signum ihrer Epoche:
Standrechtliche oder geheime Hinrichtungen durch den König, spektakuläre
Morde unter Fürsten und deren wahnhafte Angst vor Vergiftungen sowie
anhaltende Plünderungen sind einige der Elemente, mit denen die Quellen
ein düsteres Bild ihrer Zeit zeichneten. Zwar beruhten auch diese Gewaltfor-
men auf Normen und konnten gezielt legitimiert werden - solche Rechtferti-
gungsbemühungen wurden jedoch mehrheitlich nicht akzeptiert.^ Stattdes-
sen grenzte man die für solche Taten Verantwortlichen durch indirekte Dif-
famierungsstrategien oder direkte Kritik aus.
Honore Bouvets berühmtes Diktum, alle Kriege seien nur noch gegen die
einfachen Leute gerichtet,^ offenbart damit gleich auf zwei Ebenen das ge-
wachsene Problembewusstsein seiner Zeit - und illustriert darüber hinaus
beispielhaft die Verwobenheit von mittelalterlicher Gewalt in Wort und Tat:
Das Entsetzen der Zeitgenossen über die Gewaltätigkeit ihrer Gegenwart lag
zum einen darin begründet, dass exzeptionelle Gewalt zur Normalität

11 Oschema, Si fut moult grande perte, S. 120.
12 Gauvard, Conclusion, S. 374f.
12 Bonet, Arbre, S. 211 (IV,102), Textzitat auf S. 161, Anm. 128.
 
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