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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 31.1921

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Heft 1
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Doderer, Otto: Wilhelm von Scholz
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Scholz, Wilhelm von: Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26485#0034

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Wilhelm von Scholz.

muskeln um so heftiger gereizt fühlt, je häufiger ihm
der an sich gleiche, in der Anwendung aber verschieden-
artige Fall von Inkongruenz einer Vorstellung mü der
Wirklichkeit vorgesetzt wird. Die „Komödie der Auf-
erstehungen": „Vertauschte Seelen", stammt die
spaßigste Abart von Seelenwanderung behandelnd, der
Idee nach von der alten indischen Fadlallahfabel her,
nach der man mit Hilfe eines Jauberspruchs seine Seele
von jedem beliebigen toten Leib Besitz ergreifen lassen
kann, während der eigene Leib mittlerweile ohne Seele
und tot ist. Sie ist nur zweidimensional und entbehrt
vollkommen der dramatischen Komposition: sie hätte ins
Endlose fortgesetzt werden können. Trotzdem ist sie eine
der gesündesten und wirksamsten Komödien der neueren
Zeit. Die burleske Laune „Doppelkopf", eine Groteske
für Marionetten, stellt die Frage: wie, wenn einmal
nicht nur zwei Seelen in einer Brust wären, sondern auch
zwei Köpfe auf einer Brust? In einem Abnormitäten-
theater stellt sie ein solches Wesen vor, auf dem zwei
Köpfe beieinander sitzen: ein Lockenkopf und ein Kahl-
kopf, ein materialistischer und ein idealistischer. Es er-
geben sich die drolligsten Konflikte: einer möchte gern
Schlagsahne, der andere Heringsalat, sie ohrfeigen sich
gegenseitig mit ein und derselben Hand, schließlich durch-
sticht einer dem anderen aus Eifersucht die Brust und
damit die eigene Brust — und sind doch beide, wie sich
am Schluß dieses dreifachen Theaterspiels zeigt, nur
Opfer einer Intrige gewesen; die Angebetete entpuppt
sich als Damenimitator.
Es bleibt noch von dem neuesten Werk von W. von
Scholz zu reden, dem Schauspiel „Der Wettlauf mit
dem Schatten", das im Einfall gewisse Berührungs-
punkte mit den „Vertauschten Seelen" hat. Scholz kon-
struiert einen merkwürdigen Fall von Telepathie, um
die dämonische Hellsichtigkeit des Dichters aufzuzeigen.
Er erfindet das Doppelgängertum einer erdachten
Romanfigur mit einem Menschen aus dem Leben und
läßt die Phantasie mit der körperlichen Wirklichkeit auf-
einanderstoßen. Den Dialog bestreitet der literarische
Theoretiker W. v. Scholz. Die Exposition, als inter-
essante Situation, vermag wohl anfangs zu faszinieren,
dann wird das Stück nur noch Exkurs. Scholz hat seine
eigene Warnung außer acht gelassen: „Es besteht für
den Dichter die Verlockung, die Antithesen in sich dialek-
tisch-abstrakt fortzeugen zu lassen, das Drama in der Idee
statt in der konkreten Erscheinung auszugestalten."
Die deutsche Bühne ist zu arm an Stücken von
Qualität, um sich Stücke, wie den „Juden von Konstanz",
die „Vertauschten Seelen", den „Gast" und „Herz-
wunder", die sich gleichermaßen durch bühnengerechte
Aufmachung wie durch sprachliches Ebenmaß und Stim-
mungsgehalt auszeichnen, entgehen zu lassen.
6.
Ungleichartig und ungleichwertig sind die in dem
Sammelband „Die Beichte" vereinigten Novellen. Sie
sind z. T. aus den Reisebüchern übernommen und selbst
nichts anderes als Betrachtungen, Gespräche, Stimmun-
gen: lyrische Momente mit epischem Gerüst, Kolorit,
nicht Gestaltung, Fälle und Episoden, keine Ereignisse
und Schicksale. Einzig die drei Novellen in der Mitte

des Buches — die Titelnovelle „Die Beichte", „Charlotte
Donc", „Der Unkenbrenner" — sind gewachsene Novel-
listik. Die „Beichte" erinnert an Wilhelm Schäfers
„Halsbandgeschichte". Der große historische Horizont
der Schäferschen Dichtung fehlt ihr, dafür hat sie ein
höchst interessantes kriminalpsychologisches Profil. Auf-
fallend ist, wie der Sprache dieses Lyrikers in der Prosa
aller Schmelz entgleitet, und es zeigt sich, ein wieviel
größerer Sprachgewaltiger ein elementarer Erzähler sein
kann, wenn der Lyriker Scholz frostig und mit trockener
Phantasie in die Nachbarschaft von Schäfer gerät und
Schäfer gar ein andermal anhebt: „Es duftete ein
Gerücht den Rhein hinunter".
7.
Im Verlag Georg Müller (München) beginnen die
„Gesammelter! Werke" von W. v. Scholz zu erscheinen.
Sechsundvierzig Jahre sind ein noch zu frühes Alter, um
die gesamte Ernte ungeachtet aller Spreu einzuscheuern.
Goethe schuf in der zweiten Hälfte seines Lebens, nach
seinem 45. Jahre, noch den Faust, den Wilhelm Meister,
Hermann und Dorothea, die Wahlverwandtschaften,
einen großen Teil seiner besten Gedichte und Wahrheit
und Dichtung. Scholz hätte klüger getan, vorerst einmal
mit einer kleinen wählerisch gesichteten Auslese, die etwa
(statt der zwei erschienenen dicken Bände der Gesamt-
ausgabe) nur die dreißig besten Gedichte, die besten
Dramen, die drei besten Novellen und vielleicht noch
eines oder das andere Reisebild enthalten hätte können,
in breitere Kreise vorzudringen, denn seine Mission ist
nicht damit erfüllt, Kärrner an der Spitze der Reaktion
gegen den Naturalismus gewesen zu sein.
Es ist nicht schwer, ein Werk auf den kritischen Sezier-
tisch zu legen und sich zu nüchterner Kühle zu zwingen.
Wir tun es in dem Glauben, daß Scholz sich gerade eben
in dem Zustand jenes Konkurses befindet, in dem wir,
nach einem von ihm selbst zitierten Ausspruch, entweder
ganz zugrunde gehen oder aus dem wir uns aufs neue
um so gefestigter aufraffen. Vor dieser Entscheidung tut
allein rücksichtslose Strenge not. Mit dem Können allein
ist es nicht getan, die Kräfte kommen von innen und von
unten, und das einzige, das Kunst zu mehr als Luxus
macht, ist der heilige Kampf ums Menschentum.
/Gedichte von Wilhelm von Scholz.
Nächtlicher Weg.
Schwer schweigt der Wald in schwarzer Pracht.
Mein Mantel flattert durch die Nacht,
streift welkes Laub am Boden mit;
und wo die Aste wie Gestalten
hoch über mir die Hände halten,
folgt Jittern meinem festen Schritt.
Und leis an mir herniederglitt,
als woll's im feuchten Gras erkalten,
was in mir kämpfte, rang und litt;
was ich in mir für schlecht gehalten,
das nahm die Nacht im Atem mit.
Und stiller meine Schritte hallten,
wie eines fremden Freundes Tritt.

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