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Nicht Oderisio, wohl aber ein anderer, geschmackvollerer Nachfolger der Sienesen,
der indes auch mit der Kunst des Florentiners Nardo di Cione, Andreas Orkagnas
Bruder, bekannt gewesen zu sein scheint, ist der Meister des Fresken im Kor-
umgang der Lorenzerkirche. In der 4. Kap. r. sieht man oben links die Reste
eines Bildes, das die Übertragung der Wundmale auf den hl. Franz durch den viel-
flügeligen Engel darstellt. Im Giebelfeld darüber ein großer Engel. Die folgende
Kapelle, die bald Barrese, bald Barrile genannt wird, hat auf beiden Wänden die
besser erhaltenen sechs Bilder aus dem Marienleben. In der 6. Kapelle endlich ist
links der Kopf einer Gottesmutter (der Verkündigung?), rechts eine Heilige sichtbar.
Die rechte Wand der Kapelle des Marienlebens, wie es mit der Goldenen Legende
besonders durch Jottos Bilder der Arena volkstümlich geworden war, zeigt oben die
Geburt Mariens, in der Mitte die Vermälung mit Josef, darunter die Geburt des
Heilandes; gegenüber oben die Verkündigung, in der Mitte die Begegnung Joachims
und Annas an der goldenen Pforte und die Anbetung der Könige (Abb. 42). Die
langen schlanken Gestalten, der schwere unlebendige Faltenwurf wie auch die Gesichter
erinnern an eine Werkstatt, die wie Oderisio vom Dreiblatt der Minutolokapelle
ihren Ausgang nimmt. Unsere besondere Aufmerksamkeit nimmt die Vermälung in
Anspruch (Abb. 43), weil sie uns den Vergleich mit Jottos Darstellung des gleichen
Vorganges und mit der Hochzeitsfeier in der Inkoronata nahelegt.
VII
Die Fresken der Inkoronata haben uns bereits tief in die zweite Hälfte der 1300
hineingeführt; auch für den Schluß des Jahrhunderts finden wir noch einige Werke,
die der Aufmerksamkeit des Kunstfreundes wert sind, wenn sie auch zum Teil nur
mehr in schwer zugänglichen Resten vorhanden, zum Teil aber durch spätere Mis-
handlung so entstellt sind, daß von einem künstlerischen Genuß kaum mehr die Rede
sein kann.
Eine der größten kirchlichen mit einem weiten Hospital verbundenen Anlagen
Neapels, die sich der ganz besonderen Gunst der Anjoinen, wie auch ihrer Nach-
folger, der Aragonen zu erfreuen hatten, war die alte Verkündigungskirche:
zwei Mal ist sie untergegangen, und das ist besonders zu bedauern, da sie
sehr reich an Schätzen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts war. Schon 1484
schreibt Ferdinand I dem Papste, sie sei »quasi ruinata«, und von 1513 bis
1536 verschwindet der Bau Sanzias (1343), der um fünf bis sechs Meter weiter
nach Westen stand, als der heutige Bau (des Vanvitelli), unter einem glänzenden
Neubau, der indes nach zuverlässigen Berichten noch manche Schätze der alten Kirche be-
wahrt hatte. Diese aber zerstörte leider der Brand von 1757, und was davon übrig
blieb, wird von Vanvitelli nicht geschont worden sein. Dagegen entdeckte man
im Jahre 1894 in einem Hause, das sich an der Westseite der Kirche befindet, Reste
Rolfs, Geschichte der Malerei Neapels 5
Nicht Oderisio, wohl aber ein anderer, geschmackvollerer Nachfolger der Sienesen,
der indes auch mit der Kunst des Florentiners Nardo di Cione, Andreas Orkagnas
Bruder, bekannt gewesen zu sein scheint, ist der Meister des Fresken im Kor-
umgang der Lorenzerkirche. In der 4. Kap. r. sieht man oben links die Reste
eines Bildes, das die Übertragung der Wundmale auf den hl. Franz durch den viel-
flügeligen Engel darstellt. Im Giebelfeld darüber ein großer Engel. Die folgende
Kapelle, die bald Barrese, bald Barrile genannt wird, hat auf beiden Wänden die
besser erhaltenen sechs Bilder aus dem Marienleben. In der 6. Kapelle endlich ist
links der Kopf einer Gottesmutter (der Verkündigung?), rechts eine Heilige sichtbar.
Die rechte Wand der Kapelle des Marienlebens, wie es mit der Goldenen Legende
besonders durch Jottos Bilder der Arena volkstümlich geworden war, zeigt oben die
Geburt Mariens, in der Mitte die Vermälung mit Josef, darunter die Geburt des
Heilandes; gegenüber oben die Verkündigung, in der Mitte die Begegnung Joachims
und Annas an der goldenen Pforte und die Anbetung der Könige (Abb. 42). Die
langen schlanken Gestalten, der schwere unlebendige Faltenwurf wie auch die Gesichter
erinnern an eine Werkstatt, die wie Oderisio vom Dreiblatt der Minutolokapelle
ihren Ausgang nimmt. Unsere besondere Aufmerksamkeit nimmt die Vermälung in
Anspruch (Abb. 43), weil sie uns den Vergleich mit Jottos Darstellung des gleichen
Vorganges und mit der Hochzeitsfeier in der Inkoronata nahelegt.
VII
Die Fresken der Inkoronata haben uns bereits tief in die zweite Hälfte der 1300
hineingeführt; auch für den Schluß des Jahrhunderts finden wir noch einige Werke,
die der Aufmerksamkeit des Kunstfreundes wert sind, wenn sie auch zum Teil nur
mehr in schwer zugänglichen Resten vorhanden, zum Teil aber durch spätere Mis-
handlung so entstellt sind, daß von einem künstlerischen Genuß kaum mehr die Rede
sein kann.
Eine der größten kirchlichen mit einem weiten Hospital verbundenen Anlagen
Neapels, die sich der ganz besonderen Gunst der Anjoinen, wie auch ihrer Nach-
folger, der Aragonen zu erfreuen hatten, war die alte Verkündigungskirche:
zwei Mal ist sie untergegangen, und das ist besonders zu bedauern, da sie
sehr reich an Schätzen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts war. Schon 1484
schreibt Ferdinand I dem Papste, sie sei »quasi ruinata«, und von 1513 bis
1536 verschwindet der Bau Sanzias (1343), der um fünf bis sechs Meter weiter
nach Westen stand, als der heutige Bau (des Vanvitelli), unter einem glänzenden
Neubau, der indes nach zuverlässigen Berichten noch manche Schätze der alten Kirche be-
wahrt hatte. Diese aber zerstörte leider der Brand von 1757, und was davon übrig
blieb, wird von Vanvitelli nicht geschont worden sein. Dagegen entdeckte man
im Jahre 1894 in einem Hause, das sich an der Westseite der Kirche befindet, Reste
Rolfs, Geschichte der Malerei Neapels 5