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Als viel gepriesener Vertreter rafaelischer Kunst und als ein Schüler des Mei-
sters gilt in Neapel Andreas Sabattini von Salem. Burckhardt meint von
ihm, er habe von allen Schülern Rafaels am meisten von seinem Geist. Es ist
schwer zu sagen, worauf sich dies überall wiederholte Urteil stützt. Denn von einem
unmittelbaren Schülertum Rafaels kann bei Andreas keine Rede sein; sein Werk mutet
vielmehr als aus zweiter Hand, d. h. wiederum von einem Rafaelschüler erworben
an. Die Geschichte, Andreas habe in Neapel vor Peruginos Altarblatt im Dom den
Entschluß gefaßt, zu diesem Meister zu gehen, sei dann aber auf dem Wege dahin
auf Rafael gestoßen, bei dem er geblieben sei, ist eine Erfindung de Dominicis. Jeden-
falls wird Andreas nirgends als Rafaelschüler belegt. Vasari nennt ihn überhaupt
nicht, was den Fälscher veranlaßt, ihn auf 29 Seiten um so ausführlicher zu be-
handeln. Seitdem geht er mit dem ständigen Beinamen des »Berühmten« durch die
Kunstgeschichte. Was wir an vor-dedominicischen Nachrichten über ihn besitzen, ist
recht dürftig. Darnach erhielt er seinen ersten malerischen Unterricht beim Zigeuner,
was an sich nicht unwahrscheinlich klingt, zumal seine Hauptwerke Fresken in Neapel
waren (s. unten). Dann sei er nach Rom zu Rafael gegangen, von ihm habe er die
Grundlage zu seiner eleganten Art zu zeichnen und der vollendeten Farbengebung
erhalten. Im Jahre 1513 habe er dann bei der Ausmalung der Nonnenkirche von
S. Gaudioso seine ganze Kunst zusammengenommen, um als Nachfolger eines
solchen Meisters dastehen zu können. 1530 malt er in Montekassino, und 1531 ist
er tot, da der Rest der Zahlung für seine Arbeit an den Vormund seines Erben geht.
Von seinen größeren Arbeiten ist nichts mehr in einem Zustande vorhanden, daß
man sie genießen oder auch nur richtig bewerten könnte. Er war als Fresken- und
als Tafelmaler tätig. Als die bedeutendsten Fresken seiner Hand gelten die sechs Bilder
aus dem Leben des hl. Jänner, die sich in einer Vorhalle der Kirche des Pfründe-
hauses S. Gennaro-de’-Poveri befinden. Von links nach rechts gehend sehen wir
auf dem ersten Bilde den Heiligen, wie er den Ausbruch des Vesuvs aufhält; auf 2:
Der Heilige unter den Löwen; 3: Der Heilige zum Märtirertode verurteilt; 4: Der
Heilige im Amfiteater zu Pozzuoli; 5: Seine Beisetzung; 6: Der Heilige wird ins
Feuer geworfen. Hettner nennt Andreas den gräßlichsten aller Manieristen: nach
Burckhardt, der Andreas, wie wir bemerkten, ganz bedeutend überschätzt, sind
die Bilder »vielleicht das geistvollste, was Neapel Heimisches aus der Hochrenaissance
besitzt«. »Andreas denkt einfach und schön und malt nur, was er denkt, nicht, was
aus irgend einem malerischen Grunde irgend einen Effekt machen könnte.« Davon
ist nichts mehr zu sehen: die Bilder sind so gut wie ganz zerstört1). Außer
diesen erwähnt d’Engenio noch die Korfresken von S. Gaudioso: Sibillen, Engel
und Knaben. Diese Kirche von alter Gründung wurde 1506 von der Äbtissin
Elisabet Loffredo (1509) so gut wie ganz erneut. 1561, 1688 und 1694 litt sie
1) Nur vormittags zugänglich
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Als viel gepriesener Vertreter rafaelischer Kunst und als ein Schüler des Mei-
sters gilt in Neapel Andreas Sabattini von Salem. Burckhardt meint von
ihm, er habe von allen Schülern Rafaels am meisten von seinem Geist. Es ist
schwer zu sagen, worauf sich dies überall wiederholte Urteil stützt. Denn von einem
unmittelbaren Schülertum Rafaels kann bei Andreas keine Rede sein; sein Werk mutet
vielmehr als aus zweiter Hand, d. h. wiederum von einem Rafaelschüler erworben
an. Die Geschichte, Andreas habe in Neapel vor Peruginos Altarblatt im Dom den
Entschluß gefaßt, zu diesem Meister zu gehen, sei dann aber auf dem Wege dahin
auf Rafael gestoßen, bei dem er geblieben sei, ist eine Erfindung de Dominicis. Jeden-
falls wird Andreas nirgends als Rafaelschüler belegt. Vasari nennt ihn überhaupt
nicht, was den Fälscher veranlaßt, ihn auf 29 Seiten um so ausführlicher zu be-
handeln. Seitdem geht er mit dem ständigen Beinamen des »Berühmten« durch die
Kunstgeschichte. Was wir an vor-dedominicischen Nachrichten über ihn besitzen, ist
recht dürftig. Darnach erhielt er seinen ersten malerischen Unterricht beim Zigeuner,
was an sich nicht unwahrscheinlich klingt, zumal seine Hauptwerke Fresken in Neapel
waren (s. unten). Dann sei er nach Rom zu Rafael gegangen, von ihm habe er die
Grundlage zu seiner eleganten Art zu zeichnen und der vollendeten Farbengebung
erhalten. Im Jahre 1513 habe er dann bei der Ausmalung der Nonnenkirche von
S. Gaudioso seine ganze Kunst zusammengenommen, um als Nachfolger eines
solchen Meisters dastehen zu können. 1530 malt er in Montekassino, und 1531 ist
er tot, da der Rest der Zahlung für seine Arbeit an den Vormund seines Erben geht.
Von seinen größeren Arbeiten ist nichts mehr in einem Zustande vorhanden, daß
man sie genießen oder auch nur richtig bewerten könnte. Er war als Fresken- und
als Tafelmaler tätig. Als die bedeutendsten Fresken seiner Hand gelten die sechs Bilder
aus dem Leben des hl. Jänner, die sich in einer Vorhalle der Kirche des Pfründe-
hauses S. Gennaro-de’-Poveri befinden. Von links nach rechts gehend sehen wir
auf dem ersten Bilde den Heiligen, wie er den Ausbruch des Vesuvs aufhält; auf 2:
Der Heilige unter den Löwen; 3: Der Heilige zum Märtirertode verurteilt; 4: Der
Heilige im Amfiteater zu Pozzuoli; 5: Seine Beisetzung; 6: Der Heilige wird ins
Feuer geworfen. Hettner nennt Andreas den gräßlichsten aller Manieristen: nach
Burckhardt, der Andreas, wie wir bemerkten, ganz bedeutend überschätzt, sind
die Bilder »vielleicht das geistvollste, was Neapel Heimisches aus der Hochrenaissance
besitzt«. »Andreas denkt einfach und schön und malt nur, was er denkt, nicht, was
aus irgend einem malerischen Grunde irgend einen Effekt machen könnte.« Davon
ist nichts mehr zu sehen: die Bilder sind so gut wie ganz zerstört1). Außer
diesen erwähnt d’Engenio noch die Korfresken von S. Gaudioso: Sibillen, Engel
und Knaben. Diese Kirche von alter Gründung wurde 1506 von der Äbtissin
Elisabet Loffredo (1509) so gut wie ganz erneut. 1561, 1688 und 1694 litt sie
1) Nur vormittags zugänglich