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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0064
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1856 hinter dem Hochaltar gefunden; nur der obere Teil Mariens und des Hei-
landes, der ihr im Schoße ruht, ist erhalten. Die rechts sitzende Maria, deren Gesicht
vollständig ausgelöscht ist, umarmt mit der Rechten den Hals des Sohnes, mit der
Linken den nackten Leib, dessen unterer Teil mit einem Lendentuch bedeckt ist.
Sein rechter Arm, der noch bis zum Ellenbogen sichtbar ist, hängt starr herab. Er-
kennbar sind bei Marien das helle gelbe Haar, der rote Mantel, der mit grauschwarzem
(einst blauem?) Stoffe bekleidete enge linke Ärmel, die rechte übermalte Hand, an
beiden Händen ein gutes Gelenk. Der Heiligenschein Mariens ist leicht erhöht, einige
Kreise sind eingeritzt, der äußere Rand mit einer Löcherreihe versehen. Der Heiligen-
schein Kristi trägt dagegen das eingeritzte Kreuz mit geschwungenen Armen. Auch
er zeigt lichtblondes (übermaltes) Haar, und der Gesichtsausdruck gibt deutlich die
mageren fahlen Zügen eines Toten wieder. Die müde geschlossenen Lider sind ge-
schwollen, die Falten von der Nase zum Kinn scharf und tief, die Mundwinkel her-
abgezogen, alles von meisterhafter Schärfe der Beobachtung und des Ausdrucks.
Oberarm und Körper haben alle Modellierung verloren. Das Lendentuch zeigt regel-
mäßige leblose Querfalten. Wer immer der Meister gewesen sein mag: er verdient,
daß man sich seines Werkes erinnere! —
Im Zusammenhang mit diesem namenlosen Bruchstücke mögen hier anderseits
die Namen einiger Künstler jener Tage Platz finden, deren Werke wir nicht kennen.
Urkundlich werden erwähnt und für die Anfertigung von Bannern vom Hofe bezahlt
Simonetto (1304) und Niklas Pignatello (1316). Auch Giovannino Salvaggio
kann nicht ohne Bedeutung gewesen sein. Unterm 23. Juli 1340 erläßt der König einen
langen Befehl, in dem er ihn als »Pictor de Neapoli« und »treuen Diener« bezeichnet,
auch befiehlt, daß dem in große Armut geratenen Künstler die Schulden ein Jahr lang
zu stunden sind, und er während dieser Zeit in keiner Weise von seinen Gläubigern be-
drängt werden soll. Leider erfahren wir keine Silbe über seine künstlerische Tätigkeit.

V
In der Zeit einer weniger scharf ausgebildeten Stilkritik wurden die Fresken der
Inkoronata dem Jotto zugeschrieben, und noch Kugler (1835) meinte, daß »fast
allein aus ihnen die kunstgeschichtliche Stellung Jottos genügend gewürdigt werden«
könnte. Dem Wunsche der stets nach großen Namen begierigen Neapolitaner kam
die Zuschreibung entgegen, und außerdem schien sie geschichtlich begründet, weil
man in der Inkoronata ja die »königliche Kapelle« erblicken wollte, in der der Flo-
rentiner nach Petrarkas Angabe sollte gearbeitet haben.
Die Inkoronata nimmt die Stelle des alten anjoinischen Gerichtshofes ein und
ist im vorderen Teile nichts als die Erweiterung der alten zum Gerichtshöfe gehörigen
Justizkapelle (Fig. 4). Dieser Gerichtshof, zuerst 1310 erwähnt, lag im Garten
des Fürsten Filipp von Tarent, des nachmaligen Kaisers von Konstantinopel,
 
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