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Rolfs, Wilhelm
Geschichte der Malerei Neapels: mit einem Titelbild in Heliogravüre, mit 13 Textfiguren und 138 Abbildungen auf 112 Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.56470#0406
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Versuch einer neuzeitigen Monumentalmalerei, werden sie heute durch etwas über-
triebene Redewendungen der Kunstschreiberei des Tages leicht über ihre Bedeutung
hinaus gehoben. Marees Fresken stellen das nie ruhende und, fügen wir hinzu,
weder in der Schönheit der Farbe noch in der Geschlossenheit der Form jemals er-
reichte Streben des Nordländers nach der schönen Menschlichkeit des Südens dar,
wie es formvollendet und scharf umrissen, umgeben von der glänzenden Pracht einer
unvergleichlichen Natur, sich seinem trunkenen Auge darstellt; die ewig ungestillte
Sehnsucht nach den Göttern Griechenlands, die uns im Blute liegt, seitdem wir den
ersten Vers Homers an unser Ohr klingen hörten, und die in Neapel, von allen
italienischen Landen die Stätte, an der das Griechentum am lebendigsten geblieben
ist, doppelt stark an uns herantritt.
Vom Süden her war Neapel in seiner Jugend kulturell und künstlerisch be-
fruchtet worden: vom Süden her hätte es weiter befruchtet werden müssen, wenn es
sich zu einer selbständigen Kultur und Kunst hätte durchringen sollen. Aber der
Faden riß ab. Großgriechenland, das eigentliche Hinterland Neapels, versank wie
seine östliche Mutter, die es groß gezogen hatte, versank vor dem starken Schwerte
Roms! Nur Friedrich II von Hohenstaufen hatte dies erkannt; er wird der Eigenart
Neapels gerecht. Aber seine Ideale zerschellen an dem Machtbedürfnis der Kirche.
Auf sie gestützt, zieht nun immer wechselnd das Verhängnis Neapels, die Fremd-
herrschaft ein, die das Land in steter Unruhe haltend vom 13. Jahrhundert ab
alle Epochen des regsten Kunstschaffens Italiens überdauert, die Zeit der Anjoinen
wie der Aragonen, die der spanischen wie der österreichischen Habsburger und
Burbonen. Sie alle kommen mit den kulturellen Anschauungen eines artfremden
Westens nach Neapel. Zwar öffnet sich sein Golf weithin gegen Abend, als ob es
sie mit besonderer Bereitwilligkeit empfangen werde. Aber diese Kultur ist Neapel
nicht nur innerlich fremd, sie ist auch nicht überlegen genug, um sich, alles be-
herrschend, geltend zu machen. Sie durchsetzt wohl den Boden Neapels, aber sie
hat nicht die Kraft, ihn zur reichen Früchtebildung zu bringen. So wurde Neapel
durch ein widriges Geschick auf Rom, auf die Fremde, auf den Norden ange-
wiesen, und daraus mag sich die problematische Natur seiner künstlerischen Ent-
wicklung erklären.
Und wie die Fresken Marees ein Zeugnis der persönlichen Tragik des künst-
lerischen Schaffens dieses Deutschen sind, so stehen sie zugleich als deren tragisches
Simbol am Abschluß unseres Ganges durch die Malerei Neapels da, die uns erscheint
wie ein blühender Garten voll fremder Erzeugnisse. Sie deuten auf den Weg, den
die Neapler Kunst hätte gehen können und müssen, wenn es sein gutes Geschick
gewollt hätte, die politisch, kulturell und künstlerisch starken Bande, die es mit
Griechenland verband, lebensfähig zu erhalten. —
 
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