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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 3.1917/​1918

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Frimmel, Theodor von: Vom Sehen in der Natur, Kunst und Wissenschaft
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der ja reflektorisch sogleich kleine örtliche Veränderung in der Blutverteilung
und im Chemismus der Gewebe hervorbringt.] Im Traum wird aber auch
ein Erinnerungsbild, ein Phantasiegebilde auf die Außenwelt bezogen, so
als ob die Reize dazu von außen kämen. [Es kommen ja dabei in der Tat
anregende Reize von außen, nur werden sie im Traum völlig mißverstanden
und nicht logisch geordnet.] Ebenso bei verschiedenen Gehirnerkrankungen.
Das sind dann die Halluzinationen. Die Schlummerphantome sind
nahe verwandt mit dem Traum, unterscheiden sich davon aber durch einen
bestimmten, wenn auch geringen Zusammenhang mit dem vorhergehenden
Wachbewußtsein. Sie entstehen offenbar durch das Abklingen der Netzhaut-
reize bei geschlossenem Auge. Selten dürfte es vorkommen, daß Nachbilder
auf der Netzhaut nach außen projiziert werden. Gewöhnlich wird man sich
der Unsicherheit des Sehens bei teilweiser Netzhautblendung bewußt.
Das gewöhnliche Sehen des gesunden Menschen läßt sich
erläutern als das Bewußtwerden von Erregungen im Sehbezirk
der grauen Gehirnrinde, wobei höchstwahrscheinlich auch ein leises
Bewußtwerden der leitenden Bahnen vom Auge her und anderes, wie die
Muskelempfindungen verschiedener Art von den Augenbewegungen und von
der Akkommodation mitspielen/)
Unmittelbare Kenntnis vom Sehfeld im Gehirn ist uns versagt. Es
bedurfte erst langer, eingehender, mühsamer Forschungen, ehe man fand,
daß die graue Rinde im Hinterlappen des Großhirns der eigentliche
Sitz des Sehens ist. [Abbildungen wurden vorgewiesen.] Jos. Hyrtl, der
berühmte Anatom, beliebte in seinen Vorlesungen noch zu betonen, daß
für uns das Gehirn ein Buch sei, mit sieben Siegeln verschlossen.
In den Jahrzehnten seither hat aber die Wissenschaft nicht geruht und eine
Reihe wichtiger Tatsachen ist erforscht worden.
Ohne Wissenschaft weiß man nur wie jedes Kind, daß man offene
Augen braucht zum Sehen. Sogar die einfachste Kenntnis von der Ent-
stehung der Bilder im Auge, die das Sehen vermitteln, ist uns nicht
unmittelbar gegeben. Sie muß erlernt werden. Von vornherein wissen
wir gar nichts von den kleinen Bildern, die auf unserer Netz-
haut im Augenhintergrund fortwährend wechseln.

*) [Die alte Literatur über das Sehen ist benutzt in den beiden Abhandlungen
von A. Schopenhauer, in der lateinischen von 1816 („Commentatio, exponens Theo-
riam colorum physiologicam“) und in der deutschen von 1854 („Über das Sehen und
die Farben“). Weitere Literaturangaben bei Helmholtz im „Lehrbuch der physiologi-
schen Optik“. In E. Brückes: Vorlesungen über Physiologie, II, 129, heißt es noch, sicher
unrichtig: „Sehen nennen wir das Zumbewußtseinkommen der Zustände des nervus
opticus.“ Die Sehzentren waren zu Brückes Zeit noch nicht genau studiert. Daß das
Sehbewußtsein in diesen Zentren seinen Sitz hat, steht heute fest. G. Hirth, in den
„Aufgaben der Kunstphysiologie“, II. S. 445, greift schon weiter aus und geht sogleich
über das Bewußtwerden hinaus ins Gebiet des Erkennens, Erinnerns. Neuere Literatur
benutzt und genannt in meiner Studie „Vom Sehen in der Kunstwissenschaft“ (1897,
1907 ins Polnische übersetzt, Lemberg, Altenberg) und in meiner „Methodik und Psy-
chologie des Gemäldebestimmens“ (2. Aufl. 1905), wo Nachträge zusammengestellt
sind. Seither wären nachzutragen: Anton Herget, „Das Betrachten künstlerischer Bilder
in der Schule“ (Prag, Schulwissenschaftlicher Verlag A. Hase), eine Arbeit, die eine
Menge erzieherisch wertvoller Beobachtungen mitteilt und verarbeitet, ferner die dritte,
verbesserte Auflage von J. K. Kreibig: „Die Sinne des Menschen“ (1917), wo einige
andere neuere Literatur angegeben ist.]
 
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