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Wochen-Blatt
des



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HerausgegeLren im Auftrage des Vereins-Ausschusses.

1865

Frankfurt a. M., den 4. Mai.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußische Landtagsbriefe. — Einheit und Freiheit. —
Aus Bayern. — Aus Hannover. — Aus Coburg. — Aus Franken. —
Unnöthige Furcht — An den Herausgeber. — Aus dem Nationalvereiu.

Wochenbericht.
Heidelberg, 2- Mai 1865.
* Der Starke, wenn er auf Hindernisse stößt, weicht be-
kanntlich einen Schritt zurück; nur daß er es nicht immer
so offenherzig eingcstcht, wie der Erfinder des Spruchs, uach
dem er aller falschen und nicht falschen Scham den Kopf
abgebisfcn hatte. Herr v. Bismarck seinerseits schwört Stein
und Bein, daß er von seinen Absichten auf dcu Kieler Hafen
nicht das Mindeste aufgcgeben und noch weniger von den auf
die Ausführung derselben bezüglichen Anordnungen irgend
etwas zurückgenommen habe; aber der Protest des österreichi-
schen Commissärs, der in Folge desselben geschehene Widerruf
der schleswig-holsteinischen Landesregierung und besonders die
thatsächliche Einstellung der preußischen Vollzugsmaßregcln,
alle diese Dinge sprechen mit stärkerer Beweiskraft als Herr
v. Bismarck.
Wie tief die Preußische Regierung selbst die abgeleugucte
Niederlage in Wirklichkeit empfindet, davon gibt die inzwischen
von ihr angenommene Haltung hinlängliches Zeugniß. Indem
sie den Beistand des Abgeordnetenhauses für ihre schleswig-
holsteinische Politik im eindringlichsten Tone anruft, indem sie
sich den Gedanken einer „deutschen" Flotte aneignct, indem
sie die Einberufung der schleswig-holsteinischen Stände, gleich-
viel nach welchem Wahlgesetze, betreibt, scheint sie den Bo-
den gänzlich aufzugebcn, von welchem aus sie die schles-
wig-holsteinische Angelegenheit bisher betrieben, und sich dem
Standpunkte zu nähern, welchen die Nativnalpartci feit andert-
halb Zähren als den einzig richtigen und haltbaren bezeichnet
HP- Zu einem solchen Opfer konnte sich das Ministerium
Bismarck natürlich nur unter den mächtigsten Antrieben ver-
stehen; ein solches Opfer mußte ihm zehnfach schwer werden,
vermöge der Wahrscheinlichkeit — um nicht zu sagen Ge-
wißheit — daß cs zu spät kommen und also nutzlos sein
werde. Nutzlos wenigstens der Hauptsache uach, das heißt,
insofern es sich darum handelt, das Abgeordnetenhaus für
die schleswig-holsteinische Politik des Ministeriums Bismarck
zu compromittircn, die Anerkennung der .Zwecke dieser Politik
und damit die Verpflichtung zur Bewilligung der erforderlichen
Mittel von der Landesvertrctung zu erschleichen oder zu er-
pressen. Die schönsten Worte und die feierlichsten Beschwörungen
des Ministeriums Bismarck werden das Abgeordnetenhaus
sicherlich nicht, dahin bringen, die Verantwortlichkeit für die
schleswig-holsteinische Cabinetspolitik auf sich und aus das
Land zu nehmen, oder auch nur die derselben zur Verfügung
stehenden Geldmittel um ciues Thalers Werth zu vermehren,
ehe das Budgetreckt der Volksvertretung in seinem vollen
Umfange tatsächlich anerkannt und durch zureichende Bürg-

schaften ein für alle Mal gewährleistet ist. Daß aber das
Abgeordnetenhaus, im Vollbesitz seiuer verfassungsmäßigen
Gewalten, vor allen Dingen einen gründlichen Wechsel des
Systems und des Personals der Regierung betreiben wird,
darüber täuscht sich wohl am allerwenigsten der Mann, welcher,
an der Spitze derselben, die erbitterte Feindschaft des Landes
und seiner Vertreter jahrelang mit beispiellosem Uebermuth
tagtäglich hcrausgesordert hat.
Die ministerielle Berliner Zeitung macht den Schleswig-
Holsteinern die Rechnung, welche sie zu bezahlen haben sollen,
wenn sie daraus bestehen, sich ein eignes politisches Hauswesen
eiuzurichten. Neben den Kriegskosten sigurircn dabei in erster
Reihe die Kosten der Neubcgründung eines schleswig-holstei-
nischen Militärwesens mit seinem theuern Material. Man hat
also den Mnth, mit eigenem Munde die schimpfliche Erinnerung
an die Auslieferung der schleswig-holsteinischen Arsenale u. s.w.
anzurusen, um die Zahlen anzuschwellen, durch welche die Her-
zogtümer in die Annexion hineingeschreckt werden sollen! Daß
man sich die Befreiung der Herzogtümer bezahlen lassen will,
die man selbst in die dänische Knechtschaft gebracht, wissen
wir freilich längst, begreifen es aber noch immer nicht.
Der in der Darmstädter Kammer gestellte Antrag aus
Versetzung des Ministeriums Dalwigk in Anklagezustand, wegen
des auf Kosten der Staatshoheit und hinter dem Rücken des
Landtags abgeschlossenen kleinen Concordates mit dem Bischof
Ketteler, oder vielmehr, wegen der Ausrechthaltung dieser Ueber-
einkunst auch nach erfolgter Einsprache der zweiten Kammer,
dieser Antrag verspricht einschneidende Verhandlungen, die
vielleicht einiges Licht aus die Entstehungsgeschichte jener so-
genannten „Darmstädter Convention" werfen werden, die schon
lange der Gegenstand seltsamer Sagen war, ähnlich den Ge-
rüchten, welche bezüglich gewisser Bedingungen umlaufen, welche
bei Gründung der Darmstädter Bank erfüllt werden mußten
und von denen in den Statuten und Nechnungsbüchern der-
selben nichts zu lesen ist.
In Wiesbaden wird mit der Weigerung der „conserva-
tiven" Minderheit der Kammer, die Wahlprüsungen vollziehen
zn lassen, ein unerhörtes Stück politischer Schamlosigkeit auf-
geführt. Um die Gewaltstreiche und Unredlichkeiten, mit deren
Hülfe wenigstens ein Theil jener Minderheit seine Wahl durch-
gesetzt hat, nicht zur Sprache kommen zu lassen, verlangt man
von der Kammer, daß sic die sämmtlichen Wahlen in Bausch
und Bogen und unbesehen als gültig anerkenne. Daß die
Regierung mit diesem Verfahren völlig einverstanden ist, ver-
steht sich von selbst; ja es wird auch nicht einmal des Scheins
wegen ein Hehl daraus gemacht. Und wenn heute oder morgen
die Auslösung der Kammer erfolgt, weil bei der Weigerung der
„Konservativen" — an deren Spitze natürlich die biedern Ultra-
montanenstehen — keine beschlußfähige Versammlung zu Stande
kommt, so werden die Herren Wittgenstein, Werren und Ge-
nossen ohne allen Zweifel die Fortschrittspartei beschuldigen,
daß sie es sei, welche diese Maßregel nothwendig gemacht.
 
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