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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 23 - No. 26 (7. September 1865 - 28. September 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0197
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Wochen-Blatt
des


'Nstisnal


Herausgegeben im Äustragr des Vereins-Ausschusses.

25.

Frankfurt a. M., den 21. September.

1865.

Inhalt:

Wochenbericht. — Aus Preußen. — Eine rettende That. — Frauen.
Politik. — An den Herausgeber. — Das preußische Krongutachten. —
Zwergdeutschland. — Militärische Neformbestrebungen in der Schweiz.
— Mittheilungen aus dem Nationalvcrein. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 19. September.
* Bis hierher und nicht weiter! Die Gasteiner Ucber-
einknnft wird zum Wendepunkt der Geschicke des Ministeriums
Bismarck. Arm iu Arm mit dem Verfassungsbrnch und dem
Meineid hat die Berliner Junkerherrschaft ihr Jahrhundert in
die Schranken gefordert und siehe da, das Jahrhundert nimmt
die Herausforderung an. Gesternt noch strotzend von Uebermnth
und von Stolz ans den Gasteincr Kraftstreich, hat das Bis-
marck'sche Regiment heute schon den Tod in: Herzen. In un-
heimlicher Einsamkeit sieht es drohende Wetterwolken von allen
Punkten des Gesichtskreises Heraufziehen. Der Haß der tödtlicb
beleidigten und mißhandelten Hcrzogthümer, die unversöhnliche
Feindschaft des eigenen preußischen Volks, die tiefe Verachtung
der ganzen deutschen Nation, das Alles ist freilich ein Gegen--
stand der erkünstelten Gleichgültigkeit und des erheuchelten
Spottes für die Berliner Machthaber; aber durch die hohn-
lächelnde Miene hindurch verräth sich durch hundert deutliche
Merkmale die Beklommenheit des bösen Gewissens und der be-
ängstigende Gedanke an die Zukunft. Und die Zukunft, welche
Gericht halten will, sie ist in den letzten Tagen mit Riesen-
schritten herangckommen, ja sic pocht in diesem Augenblicke be-
reits mit lauten Schlägen an die Thür. Frankreich und Eng-
land sprechen ihr Wort zu der Gasteiner Nebercinknnft und
dies Wort klingt wie Schmach und Gefahr. Selbst aus Ruß-
land vernimmt man dumpfe Töne des Grolls. Oesterreich aber,
der unfreiwillige Mitschuldige au dem Vertrage zu Gastein,
macht nicht länger ein Hehl daraus, daß cs die erste Ge-
legenheit zur Genugtuung für die üble Nolle, zu der es sich
im Drange der augenblicklichen Noth verstanden hat, benutzen
will und wird.
Die Lage, welche sich aus allen diesen Umständen für die
preußische Negierung ergibt, ist so schlimm wie möglich und
geradezu hoffnungslos. Mag Herr v. Bismarck in Biarritz
betteln gehen und auf Kosten der Herzogtümer jeden beliebigen
Schandpreis für die Gunst des Bonapartismus bieten, er
wird mit solchen Auskunftsmittelu nicht mehr durchdringen.
Durch die gänzliche Jsolirung Preußens ist Oesterreich zum
Meister der schleswig-holsteinischen Situation geworden. Wie.
zum Beispiel, weuu Oesterreich morgen die holsteinischen Stände
einberuft und übermorgen zur Aufstellung des holsteinischen
Bundcscontingcnts schreitet? Mit der Ausführung dieser bei.
den Maßregeln ist der preußische Annexiousgcdanke todtge-

schlagen und begraben. Daß aber Herr v. Bismarck heute noch
daran denken könnte, Oesterreich durch die nämlichen Mittel,
durch welche er dessen Zustimmung zu der Gasteiner Ucber-
einknnft erpreßte, von solchen Maßregeln abzuhalten, davon
wird sich wohl auch der dickgläubigste Anbeter des Bismarck'-
schcn Genius nicht leicht überreden.
Die Erwerbung von Lauenburg wird ganz im Sinne
einer Staatslehre, zu der sich heute kein anständiger Geist mehr
zu bekennen wagt, wie ein bloßes Privatgeschäft des Königs
behandelt. Das Haus Hohcuzollern ist gerade bei Geld und
kauft sich ein auf den Markt gekommenes Herzogthnm — das
ist der Lauenburgische Vorgang nach der Auffassung der Ber-
liner Kabinetspolitik. Die im voraus gegebene Zustimmung
des Lauenburgischen Landtags kommt dabei eigentlich gar nicht
in Betracht, und wenn man sie gelegentlich wenigstens erwähnt,
so geschieht es offenbar nur „der Leute wegen" und mit einer
unverkennbaren Selbstüberwindung; denn die Einwilligung des
Volkes oder seiner Vertreter ist iu den Augen der tonange-
benden Berliner Hof- und Kabinetspolitikcr viel mehr eine
Abschwächung, als eine Bekräftigung der Staatshandlungen.
Obgleich die Gefangenschaft des Herrn May bereits meh-
rere Monate danert, hat man immer noch keinen Rechtsvor-
wand dafür ausfindig zu machen gewußt. Die Thatsachc eines
brutalen Gewaltstreichcs steht seit dem Tage der Verhaftung
des Herrn May bis zum heutigen Augenblicke völlig nackt
an dem Pranger der europäischen Oeffentlichkeit. Seit Mcu-
schengedcnkeu war man iu Deutschland solcher schamlosen Ein-
griffe" iu die persönliche Freiheit dermaßen entwöhnt, daß wohl
Niemand dieselben mehr für möglich gehalten hätte, bis zu der
Stunde, wo Herr v. Bismarck die Welt durch den Augen-
schein belehrte, daß ihm auch diese Art der Gesetzesverletzung
weder zu roh, noch zu kleinlich sei. In der That, au der
Spitze eines Heeres von Hunderttausenden seine Waffen
zu gebrauchen gegen einen einzelnen Manu, eiuem Journalisten
mit'Husaren zu Leibe zu gehen, ihm mit dem Säbel seine
Feder aus der Hand zu schlagen und ihn als Kriegsgefangenen
davon zu führen, das ist denn doch zum Erbarmen unwürdig.
— In dem Augenblick, wo diese Zeilen niedergeschrieben sind,
bringen die Zeitungen die Nachricht von der endlich erfolgten
militärischen "Ablieferung des Herrn May au das Kreisgericht
in Perleberg. Damit ist natürlich noch keineswegs dargethau,
daß cs wirklich gelungen sei, nachträglich einen Anklagegrnnd,
oder auch nur den Schein eines solchen, gegen den bisherigen
Kriegsgefangenen des Ministeriums Bismarck ausfindig zu
macheu. Sollte man aber auch wirklich, durch Beharrlichkeit
und Kunst, einen juristischen Anschlag dieser Art zu Stande
gebracht haben, so würde die dreimonatliche Haft des Herrn
May auf der Hauptwache iu Rendsburg darum nickst weniger-
bleiben, was sic von Anfang gcwcscu, eine freche Versündigung
an Recht und Gesetz, an politischer Ehre und militärischer
Scham.
Der Ott-Euleuburgische Fall bringt eine weitere bittere
 
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