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des



Asti s n a l


Herausgegrden im Äustrage des Vereins-Äusschusses.

11.

Frankfurt a. M., den 15. Juni.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußische Landtagsbriefe. — Briefe aus Nassau. V.
— Zum 8. Juni 1865. — Mittheilungen aus dem Nationalverein. —
Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 13. Juni.
* Je zuversichtlicher die Mieue ist, welche die Herren
v. Bismarck, Roon und Eulenburg im Abgeordnctenhause zur
Schau tragen, desto mehr wird man aus die Annahme hinge-
wiesen, daß sic den Boden mehr und mehr unter ihren Füßen
schwanken fühlen. Zwar, des robusten Vertrauens des Königs
sind sie ohne Zweifel ein für alle Mal sicher, und weder durch
Pflichtgefühl, noch Gewissensscrupel, werden sie jemals an sich
selbst und an ihrer Stelle irre gemacht werden. Aber cs wird
mit jedem Tage klarer, daß die Ausgabe, welche das preußische
Ministerium übernommen, kür die Kräfte desselben, so wenig
man dieselben gering anschlagen darf, zu schwer ist, die Auf-
gabe, einen großem Staat, welcher einen hervorragenden Platz
in der Welt zu behaupten hat, im offenen Widerspruch mit
Verfassung und Gesetz, mit dem öffentlichen Ncchtsgefühl, und
den guten Sitten zu regieren. Der Minister des Innern selbst
hat in einer schwachen Stunde das Bekenntniß abgelegt, daß
es auf die Dauer unmöglich sei, das Land wider den Geist
und Willen des Abgeordnetenhauses zu regieren, und man
dPf getrost annehmen, daß die Negierung sich dieser Un-
möglichkeit bereits viel näher gerückt sieht, als sie sich merken
lassen will. Der schwerste Stein des Anstoßes ist dem herr-
schenden System durch die schleswig-holsteinische Sache in den
Weg gewälzt, ein Stein an welchem es zerschellen muß, wenn
cs dagegen anrennt, und der cs auf die gefährlichsten Abwege
bringen wird, wenn cs ihn schließlich zu umgehen sucht.
Ein unverkennbares Zeichen der iuncrn Unsicherheit des
Ministeriums Bismarck ist die zwecklose Verlängerung der Land-
tagssession. Wenn man das Abgeordnetenhaus im vorletzten
Jahre sich Monate lang nutzlos abarbeiten ließ „damit das
Volk die Herren kennen lerne", so hatte das einen ganz guten
Sinn, und wenn man die vorjährige Session, auf den ersten
besten Vorwand hin, nach wenigen Wochen schloß, um die lästige
Opposition der Fortschrittspartei loszuwerdcu, so leuchtete diese
Maßregel gleichfalls Jedermann ein. Was aber dies Mal mit
der uunöthigen Fortsetzung eines beispiellosen Parlamentarischen
Schauspiels, das alle Welt nachgerade auswendig kennt, beab-
sichtigt wird, begreift kein Mensch und darüber ist sich höchst
wahrscheinlicher Weise auch das Ministerium selber nicht klar.
Der einzige Gedanke, welchen man diesem Verfahren der Ne-
gierung füglich unterlegen kann, ist: wer weiß, wozu man
das Abgeordnetensaus noch wird gebrauchen können; aber auch
dieser Gedanke ist ein handgreiflich falscher, da sich das Ab-
geordnetenhaus vom Ministerium Bismarck sicherlich zu nichts

1865.

in der Welt gebrauchen lassen wird. Am wenigsten kann es
wohl vernünftiger Weise darauf abgesehen sein, das Abge-
ordnetenhaus durch vergebliche Anstrengungen müde und mürbe
zu machen, denn in einem Wettkampf solcher Art sind drei-
hundert Männer zuletzt immer stärker als acht oder zehn.
Nach der Regel: der Klügste gibt nach, hat Oesterreich
endlich die preußische Forderung zugestanden, daß die schles-
wig-holsteinischen Stände nach dem Gesetze von 1854 einbe-
rufen werden sollen, um deren Zustimmung zur Einberufung
einer gemeinschaftlichen Landesversammlung nach dem Wahl-
gesetze von 1848 einzuholen. An die bei dieser Forderung be-
tonte „Nechtscontinuität" läßt sich auch auf das Wort des
Herrn v. Bismarck kaum glauben, obgleich derselbe mit Pulver
und Blei für seine eigne Wahrhaftigkeit einsteht. Ist es dagegen
mit jenem ständischen Zwischenspiel lediglich auf eine weitere
Handhabung des bisherigen Verschleppungssystems abgesehen,
so mag man immerhin einige Wochen dabei gewinnen, aber
schwerlich bessere Aussichten und günstigere Gelegenheiten.
Die natürlichste und bitterste Frucht der schleswig-hol-
steinischen Ränke des Herrn v. Bismarck ist der zusehends
wachsende Widerwille der Herzogthümer gegen das preußische
Regiment. Und sollte die Berliner Politik, selbst in ihrer heu-
tigen Gestalt, wirklich geistesroh und kurzsichtig genug sein,
um sich zu sagen: mögen sie uns hassen, wenn sie uns nur
fürchten? So weit hat sie es jeden Falls schon gebracht, daß
selbst der alte Herzog von Augustenburg in Schleswig-Holstein
populär geworden ist; der Mann, welcher, vermöge seiner
abstoßenden Persönlichkeit, weder vor 1848, noch in den Revo-
lutionsjahren von einem Hauch der Volksgunst angewcht wurde,
der nach dem dänischen Siege Alles that, um auch die Achtung
des Volks vollständig zu verwirken, wird jetzt beim Erscheinen
in der alten Heimath ein Gegenstand des öffentlichen Jubels,
man begrüßt ihn wie einen Helden, man vergißt sich, um ihn
zu feiern, bis zu den unmännlichsten Formen der Huldigung l
Alles das wahrhaftig nicht aus Liebe zum „angestammten
Fürstenhause", sondern aus Haß gegen das Bismarck'sche
Preußen!
Angesichts solcher Erscheinungen tritt die Armseligkeit
und Verkehrtheit in ihr volles Licht, vermöge deren man in
Berlin darauf besteht, daß der Herzog Friedrich während der
Wahlen zu den Landtagen der Herzogthümer und während der
Dauer ihrer Bcrathungcn aus Kiel entfernt werde. Die Macht
der sogenannten „Kieler Regierung" hat man wahrhaftig nicht
zu fürchten, und der moralische Einfluß des Herzogs
Friedrich wird, nach allen bisherigen Erfahrungen, durch seine
mehr oder weniger gewaltsame "Vertreibung aus dem Lande
nicht geschwächt, sondern vielmehr gesteigert werden.
Daß indessen die preußische Führerschaft, fo weit sie
durch das natürliche Uebergewicht des Staats längst zur
Thatsache geworden, der Bismarck'scheu Mißregicrung unge-
achtet, fortbestcht, davon werden die Ereignisse demnächst ein
neues Zcugniß ablcgen. Die Höfe in München, Stuttgart,
 
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