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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 31 - No. 35 (2. November 1865 - 30. November 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0279
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Wochen-Blatt
des



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Herausgegeden im Auftrage Les Vereins-Ausschusses.

M 35.

Frankfurt a. M., den 30. November.

1865.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Eine Austrittscrklärung von Deutsch-
österreichern. — Der Nationalverein zwischen zwei Feuern. — Cabinets-
und Verwaltungszustände in Bayern. — Der deutsche Rechtsschutzverein
in London. — Ein Vortrag von Moritz Müller. -- Mittheilungcn aus
dem Nationalverein. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 28. November.
* Es muß alle Tage wiederholt werden: wir halten
ÄM Rande des Abgrunds; Preußen, Deutschland steht
vor der schwersten Crisis, die cs seit einem halben Jahr-
hundert durchgemacht. Noch bebt mau in Berlin zurück
vor dem entscheidenden Entschlüsse, noch giebt man sich
selber Aufschub von Tag zu Tage; biuneu heute uud mor-
gen aber kann die letzte Frist ablaufen, die sich dem frevel-
haft herausgcfordcrten Schicksal abgewinncu läßt. Ein in ge-
wissem Sinne vollkommen getreues Bild der preußischen Lage
giebt die Kreuzzeitung mit folgenden Worten: „es ist unmög-
lich, still zu stehen, oder gar zurück zu weichen. Was wir bis
setzt gethan haben, ist so Präjudicicll, daß uns keine andere
Wahl bleibt, als Alles an Alles zu setzen". Auf Herrn- von
Bismarck uud auf das ganze jetzige Regiment augewcndet,
sind diese Sätze von unwidersprechlicher Wahrheit. Für den
preußischen Staat und das preußische Volk dagegen gelten sie
allerdings nicht; Staat und Volk aber haften darum nicht weniger
für die Schuld der Regierung, so lange und so weit, als sie
sich nicht thatsächlich davon lossagen.
Das heutige Preußen ist ems der abschreckendsten Bei-
spiele der politischen Allgewalt eines einzelnen Mannes, welche
die ganze Neuzeit seit Napoleon I. aufzuwcisen hat. Durch die
Verblendung, den Eigensinn, die Selbstsucht des Machthabers
ist Preußen, man möchte sagen muthwillig, in die tiefste innere
Zerrüttung gestürzt, mit der deutschen Nation bitter verfein-
det und zu dem gesummten Auslande in ein peinlich gespann-
tes Verhältniß gebracht. Statt aber durch die täglich wach-
senden Schwierigkeiten der inneren und äußeren Lage zur Er-
kenntnis; und zum Einlenken gebracht zu werden, steift sich
das Berliner Regiment in verbissenem Trotz auf sein ver-
meintliches Recht, seiner'. Eigenwillen, seine blinde Eier, macht
es aus dem Gelingen eines bereits fehlgcschlagenen Unterneh-
mens einen Ehrenpunkt und eine Dascinsfrage. Die parla-
mentarische Negierung hat ohne Zweifel ihre schwachen Sei-
ten; eine grundsätzliche Unvernunft aber, wie sic jetzt in Ber-
lin am Steuer sitzt, hat niemals ein Volk ins Verderben ge
bracht, dessen Angelegenheiten durch eine frei gewählte Ver-
tretung und mit dem entsprechenden Bewußtsein der vollen Ver-
antwortlichkeit für das eigene Wohl und Wehe verwaltet werden.
Noch ist für Preußen die Möglichkeit vorhanden, dem
Bismarck'schen Rcgimente in der elften Stunde ein gebieteri-

sches Halt zuzurufen. Verzögert sich der Augenblick der Ent-
scheidung bis zur Wiedereröffnung des ^Landtages, fo wird
die Stimme des Abgeordnetenhauses, wenn sie das rechte Wort
im rechten Tone spricht, dies Mal vielleicht durchdringen;
bliebe dieselbe aber ungchört, oder käme ihr irgend ein ver-
zweifelter Entschluß des Herrn v. Bismarck zuvor, dann frei-
lich bliebe nur dem preußifchcn Volke selbst übrig, auch seiner-
seits „Alles an Alles zu setzen". Denn daß ein Bruch des
europäischen Friedens, im Paroxismus der Annexionspolitik
begangen, dem preußischen Staate nur die Wahl lassen würde
zwischen tödtlicher Niederlage oder entschlossener Selbsthülfe
durch das Volk, darüber wird wohl kein verständiges Urtheil
nut sich selbst uneins sein.
Die Rolle, welche Preußen in den Herzogthümern spielt,
wird durch jede Tischrede und jede Verordnung des Hrn. v.
Manteuffel einfältiger und widerwärtiger. Während der öster-
reichische Gouverneur in Holstein in Wort und Haltung allen
Anforderungen seiner schwierigen Stellung gerecht zu werden
weiß, häuft der preußische Statthalter in Schleswig unpassende
Reden uud gehässige Maßregeln, als ob sein eigentlicher
Auftrag wäre, die preußische Herrschaft auch bei der kleinen
Zahl ihrer bisherigen Anhänger in Verruf zu bringen. Selbst
die Vogelscheuche des „Terrorismus" einer „augustenburgischen
Nebenregierung" ist durch die plumpen Mißgriffe des Hrn.
v. Manteuffel unbrauchbar gemacht. Grobheiten gegen den
Herzog Friedrich, kleinliche Verfolgung feiner Anhänger, Zei-
tungsverbote und Polizeiquälereien, das sind bis auf den
heutigen Tag die einzigen schleswig'schcn Thaten des Statt-
halters, deren naturgemäße Wirkung durch aufgeblasene Trink-
sprüche wahrhaftig nicht ausgeglichen wird. Vor Antritt seiner
Statthalterschaft war der General Manteuffel für das deutsche
Publikum wenig mehr als ein bloßer Name, wenn auch übel-
sten Klanges; jetzt wissen wir, daß dieser Mann das leib-
haftige Ebenbild feiner Brüder, des Exministers und des
weiland Unterstaatssckretärs ist, und damit ist Alles gesagt,
dessen es bedarf, um ihm jede Fähigkeit zur Ausfüllung eines
Platzes abzusprechen, dessen Inhaber auch nur des beschei-
densten Maßes von politischer Achtung und öffentlichem Ver-
trauen bedarf. Und daß man einen solchen Mann mit der
moralischen Eroberung von Schleswig beauftragt, das genügt
wiederum zur Kennzeichnung desjenigen deutschen Berufs, den
die Berliner Machthaber neuerdings wieder mit edler Dreistig-
keit für sich beanspruchen.
Die zwischen Wien und Berlin obwaltende Verstimmung
nimmt allmälig den Charakter offener Feindseligkeit an. So
namentlich in den preußischen Bemühungen, die neueste öster-
reichische Anleihe zu vereiteln, oder doch möglichst zu erschwe-
ren. Daß man in Berlin keinen Anstand nimmt, die Wiener
Politik an ihrer schwächsten und empfindlichsten Stelle, an
den Finanzen, zu chicaniren, das ist vielleicht die grellste Kund-
gebung des Mißverhältnisses zwischen beiden Cabinetten, welche
bis jetzt zum Vorschein gekommen. Wie weit muß es mit
 
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