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ochen-Blatt

des



Herausgegeben im Äustrage -es Vereins-Äusschujses.

6.

Frankfurt a. M., den 11. Mai.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußische Landtagsbriefe. — Geheimnißvolles Preß-
vergehen. — Der nationale Verein zur Rettung Schiffbrüchiger. —
Die Inquisition. III. — Aus Wiesbaden. — Politische Literatur.

Wochenbericht.
Frankfurt, 9. Mai 4865.
* Das Stück Politik, welches sich seit Jahr und Tag
zwischen Oesterreich, Preußen und dem Bundestage auf dem
schleswig-holsteinischen Schauplatze abspielt, ist ein getreues
Abbild des Staatsgedankens der „großdcutscheu" Partei —
wenn von einer solchen, bei der Selbstauflösung des Reform:
Vereins, noch die Rede sein kann. Preußen sagt Ja, Oesterreich
sagt Nein, die Mittelstaatcn, wenn sie weise sind, sagen gar
nichts, und wenn sie, in einem Augenblicke des Sclbstvergessens,
den Mund aufthun, so ist es, als ob die Spatzen pfiffen;
die Dinge aber, um welche es sich handelt, kommen nicht vom
Fleck, der Erfolg der Waffen bleibt unfruchtbar, und Deutsch-
land wird wieder einmal durch feine Uneinigkeit und Ohnmacht
zum Gespötte der Welt. Und so wird es bleiben bis zu dem
Tage der gründlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden
Großmächten. Oder ist irgend Jemand beschränkt genug, auch
heute noch zu glauben, daß diesem Zustande durch irgend eine
neue Verthcilung der Stimmen am Bundestage oder im
„Direktorium" und durch den Schemen einer „Volksvertretung
beim Bunde" abgcholfcn werden könne?
Daß Oesterreich an der Gränze seiner Nachgiebigkeit gegen
Preußen angckommen, ist nachgerade Jedermann einleuchtend
geworden. Der Aberglaube au die Unwiderstehlichkeit des Herrn
v. Bismarck, hat dem Augenscheine weichen müssen und die
trotzigen Redensarten, mit denen man anfänglich versuchte,
das eigne Gefühl der Niederlage zu betäuben, sind verstummt.
Die ministerielle Berliner Presse hat ihren Ton binnen weniger
Tage um ganze Oktaven hcruutcrgestimmt, so zwar, daß sie
sich kleinlaut aus die Erörterung der „Compeusationsfrage"
einläßt, über welche sie früher mit Pauken und Trompeten
aus hohem Pferde hinweggaloppirte. Der Vorschlag der dienst-
beflissenen Kölnischen Zeitung, die österreichische Zustimmung
zu den schleswig-holsteinischen Plänen Preußens durch eine
Gebietsabtretung zu erkaufen, wird von der Kreuzzcitung als
ein solcher behandelt, über den sich reden lasse; aber auch dcu
Gedanken einer Bürgschaftsleistung für Venedig, oder selbst
einer förmlichen Aufnahme Gcsammtösterreichs in den deutschen
Bund, will man nicht länger unbedingt zurückweisen. Kurz,
das Bewußtsein, daß die Hülfsmittel der Bismarckschcu Eigen-
macht, dem passiven Widerstande Oesterreichs gegenüber, "ver-
braucht und wirkungslos geworden sind, verräth sich deutlich
durch fortgesetzte Versuche, die öffentliche Meinung aus eins
jener politischen Handelsgeschäfte vorzubereitcn, bei denen die
Ehre als Preis für die Sünde und das Verbrechen gezahlt wird.

1865.

Wie gewöhnlich, wenn es sich darum handelt, den Na-
tionalgcist bestechen und zu verführen, spielt die Kölnische Zei-
tung die Rolle der Kupplerin, wiewohl ihre Geschicklichkeit in
diesem Fache weit zurücksteht hinter ihrem Eifer und ihrer Liebe
zur Sache. „Länderschacher" und „Menschenhandel" sind ihrer
Versicherung nach einfältige Redensarten. Ohne ein gütliches
Ucbereinkommen zwischen Wien und Berlin, so lautet ihr
großes Argument, geht Deutschland einem iunern Kriege ent-
gegen, dessen Folge ein ganz anderer „Länderschacher" und
„Menschenhandel" sein wird, als das jetzt in Vorschlag ge-
brachte Tauschverfahren. Als ob Preußen nicht in der Lage
wäre, jede Schwierigkeit und Gefahr dadurch zu beseitigen,
daß es auf den Thcil seiner schleswig-holsteinischen Pläne ver-
zichtet, sür den es die Zustimmung Oesterreichs nicht aus gute
Bedingungen erlangen kann! Preußen mag, wenn es sein
muß, aus jeden Vortheil aus dem dänischem Kriege verzichten,
ohne seiner Gegenwart oder gar seiner Zukunft etwas zu ver-
geben; aber es kann keine Scholle seines jetzigen Gebietes
abtreten, ohne herabzusteigen, ohne abzudanken als Großmacht,
ohne seinen deutschen Beruf zu verleugnen.
Seit der glücklichen Beseitigung des Neuenburger An-
hängsels, hat der preußische Staat nicht das kleinste Stück
Landes mehr inne, dessen Erwerbung er sich nicht Vorbehalten
müßte, wenn dasselbe nicht bereits sein wäre, und was ins-
besondere die Hohenzollcrnscheu Fürstentümer anbetrifft, so
sind sie, als vorgeschobener Posten, sür die deutsche Zukunft
Preußens von einer Bedeutung, welche über die Zahl ihrer
Quadratmcilen und ihrer Bevölkerung weit hinausgeht. Die
Auslieferung der Hohenzollern'schen Laude an Oesterreich vol-
lends würde einer Anerkennung der Mainlinicu-Politik so
ziemlich gleichkommcn, und demnach als die Einweihung eines
Bündnisses der beiden Großstaaten gegen die nationale Zu-
kunft Deutschlands auzusehen sein, gegen welches der National-
geist früher oder später zu den Waffen der Verzweiflung
greifen würde.
Nochmals, eine solche Gebietsabtretung wäre eine Ab-
dankung, wie sie vielleicht ein Herr v. Bismarck, aber nimmer-
mehr irgend ein preußisches Abgeordnetenhaus unterschreiben
wird. Um so weniger, als die Einverleibung von Schleswig-
Holstein dadurch auf keinen Fall, und selbst die aufrichtigste
Bereitwilligkeit Oesterreichs vorausgesetzt, mehr zu erlangen
sein würde, sondern höchstens eine etwaige Erweiterung ver-
tragsmäßiger Oberhcrrlichkeit. Mit dem uothgedrungcuen Ent-
schluß, die schleswig-holsteinischen Stände ciuzubcrufcn, ist die
Annexion unmöglich geworden und wie mau zu Ehren der
Einsicht der Berliner Cabinetspolitik annehmcn muß, ohne
Zweifel auch aufgegcbcn.
Der bisherige Gang der schleswig-holsteinischen Ange-
legenheit gibt freilich sehr geringe Begriffe von der Voraus-
sicht und Berechnung der herrschenden preußischen Politik,
auch in Sachen ihres unmittelbarsten und dringendsten In-
teresse. In den wichtigsten Fällen hat die preußische Negierung
 
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