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Wochen-Blatt
des




Herausgegebrn im Auftrage Les Vereins-Ausschußes.

M 12.

Frankfurt a. M., den 22. Juni.

1865.

Inhalt:
Wochenbericht. — Letzter preußischer Landtagsbrief. — Der Stand der
deutschen Frage. — Die deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.
— Warum steht die schleswig-holsteinische Bewegung still? — Ein
Stückchen bäuerische Presse. — Mitthcilungen aus dem Nationalverein.

Wochenbericht.
Frankfurt, 20. Juni.
* Der diesjährige preußische Landtag ist verlaufen und
hat geendet, wie seine drei unmittelbaren Vorgänger, ohne ein
nenncnswerthes Ergebniß auf dem Gebiete einer veralteten
Gesetzgebung zu hinterlassen, ohne von den vielen und schweren
Versäumnissen der Vergangenheit, die der preußische Staat sich
gegen sich selbst zu Schulden kommen lassen, ein einziges uach-
zuholen, ohne der öffentlichen Wohlfahrt den mindesten ernst-
lichen Dienst geleistet, ohne irgend einem der brennenden
Volksbedürfnisse, welche aus dem raschen Wechsel der Ver-
hältnisse unserer Zeit täglich neu geboren werden, eine Be-
friedigung verschafft, ja auch nur versprochen zu haben. Für
die wichtigsten Aufgaben des Staatslcbcus ist die preußische
Landtagsscssion auch dies Mal wieder unfruchtbar gewesen
wie die Wüste — eine Wüste, in welcher nichts gedeiht als
Disteln und Dornen, als Schierling und Bilsenkraut.
Die Saaten dieser Art haben denn auch üppiger ge-
wuchert, als je. Mißtrauen und Bitterkeit, Verachtung und
Haß stehen in Preußen iu einer volleren Blüthe, als in irgend
einem andern Lande Europa's. Die Zwietracht zwischen Volk
und Negierung, die Feindseligkeit zwischen dem herrschenden
politischen Systeme und der gefunden öffentlichen Meinung,
ist im raschen Wachsthum, mau möchte sagen, über sich selbst
hinausgeschosfcn. Wie das Ministerium und das Abgeordneten-
haus, so stehen Junkerthum und Bürgerthum, Militär- und
Civilgeist, absolutistische und Versassungspartei mit unver-
söhnlicher Leidenschaft einander gegenüber, und wer weiß, wie
lange auch die Kluft zwischen Thron und Volk noch über-
steiglich bleiben wird. Die Justiz, ehedem der Stolz Preußens,
ist, von der politischen Seite her, nur noch ein Gegenstand
der öffentlichen Schaam; die Pflichttreue des Bcamtenthums
gegen den Staat, soll iu knechtische Gesinnung gegen die je-
weiligen Machthaber umgewandelt werden; die' pöliüsche Ehre
und das politische Gewissen, welche dem gcwaltthätigcu Ne-
gimentc des Tages gegenüber sich selbst zu behaupten wagen,
werden bei den Staatsdienern nicht nur, sondern auch bei den
Privatleuten, als Unbotmäßigkeit gekennzeichnet und verfolgt,
und um die Gegner zu entwaffnen und die kleine Schaar der
Anhänger zu verstärken, scheut sich die herrschende Politik so-
gar nicht vor der offenkundigen und eingestandeucn Corruption,
durch alle Mittel der Guust und Mißgunst, welche ihr zu
Gebote stehen. — Alle diese Ucbungcu und Zustände sind
freilich, ihrem Ursprünge nach, so alt wie das Ministerium
Bismarck; ihre Entwickelung aber hat, besonders iu den letzten
Monaten, riesenhafte Fortschritte gemacht, und heute, am

Schluffe des Landtags, stehen sie in einem so grellen Lichte
da, daß selbst ein unerschrockenes Auge davor zurückschcucn kann.
Preußen ist ohne alle Frage der schwächste der europäischen
Staaten, die eine Halbwegs selbstständige Rolle in der Welt
beanspruchen können, viel schwächer, vermöge seiner territorialen
Lage, als Spanien und vielleicht kaum so stark zur Selbst-
vertheidigung, wie das von gestern datirende Königreich Italien.
Nur mit dem Aufgebote aller seiner Kräfte würde Preußen
im Stande sein, sich mit diesem oder jenem seiner drei großen
Gränznachbaru ernstlich zu messen, einen Krieg gegen Frank-
reich, Rußland oder Oesterreich ohne fremden Beistand, das
heißt, als wirkliche Großmacht, glücklich auszusechtcn. Und in
einer Zeit, wo man sich von einem Tage zum andern auf
die schwersten europäischen Krisen gefaßt machen muß, wird
der auf so unsichern Füßen stehende preußische Staat von
seiner eignen Negierung geradezu mnthwillig iu die tiefste
innere Zerrüttung gestürzt, werden die kostbarsten sittlichen
Besitzthümer desselben von der Partei, welche die Macht in
Händen Hal, mit frechem Uebermuthe geschändet und in den
Stand getreten, wird das preußische Volk, nicht bloß der
Politik des Ministeriums, sondern, so viel es möglich ist auch
dem politischen Gemeinwesen selbst, geflissentlich entfremdet, ja
mit demselben bitter und immer bitterer verfeindet. Es ist,
als ob mau es in Preußen daraus anlegte, die österreichischen
Erfahrungen der Jahre 1859 und 60 am eigenen Leibe zu
wiederholen, als habe man iu Berlin ein aberwitziges Gelüste
nach der stillen Schadenfreude und dem lauten Hohngelächter,
womit die Niederlagen bei Solferino und Magenta ihrer Zeit
iu Oesterreich ausgenommen wurden. — So weit wird es
übrigens iu Preußen nicht kommen. Der preußische Staats-
geist ist denn doch zu jung und zu lebenskräftig, um sich nicht,
im äußersten Augenblicke wenigstens, gegen ein Regiment ge-
waltsam auszubäumen, unter welchem jeder große Kampf auf
ein vollendetes Verderben hiuauslaufen müßte. Wenn die
Franzosen heute au den Rhein rücken, so hat mau allen Grund
zu hoffen, daß morgen der erste Sieg über sie iu den Mauern
von Berlin erfochten werden wird.
Die Abschiedsredc, mit welcher Herr v. Bismarck den
Landtag nach Hause geschickt hat, ist ohne Beispiel iu der
parlamentarischen Geschichte. Unseres Eriunercns wenigstens
hat sich weder ein Poliguac, noch ein Blittersdors noch ein
Hasscnpflng jemals herausgcnommen, die Volksvertretung iu
diesem Tone des Uebermuthcs hcruuterzukanzeln, ihr eine Aus-
wahl von ähnlichen Impertinenzen ins Gesicht zu werfen. Daß
Herr v. Bismarck dazu den letzten Augenblick nimmt, wo keine
Entgegnung mehr möglich bleibt, wird von Knappen und
Knechten vielleicht auch als ein Beweis seiner ritterlichen Ge-
sinnung gerühmt werden. Es steht indessen zu erwarten, daß
die Schmähworte, welche er den Abgeordneten noch beim Thür-
zuschl.igen zugcrufen, doch nicht ohne eine angemessene Autwor-
bleiben werden. Wie sehr man anch die Bismarck'schen Belei-
j digungeu als solche verachten möge, so ist cs doch von angeu
 
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