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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 31 - No. 35 (2. November 1865 - 30. November 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0271
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Wochen-Blatt
des




Herausgegebcu im Auftrage -es Vereins-Ausschusses.

34.

Frankfurt a. M., den 23. November.

1865.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Die Kläglichkeit der Großstaaterei.
— Der gegenwärtige Stand des Skandinavismus. — Die Sache der
Rostocker Nationalvcreinsmitglieder vor dem Bundestage. — Politische
Literatur (Geschichte Oesterreichs u. s. w ). — Aus München. — Aus
Freudenstadt. — Aus dem Großherzogthum Baden. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 21. November.
* Das Bismarck'sche Regiment steht am Vorabend der
Katastrophe. Das Gastciner Provisorium versagt, Oesterreich
macht Miene, die rauhe Seite heranszukchren, Frankreich ent,
schuldigt sich achselzuckend, der schleswig-holsteinische Rackert
wird mit jedem Tage steifer, und so sicht sich denn die An-
nexionspolitik auf einen Punkt festgebannt, wo sie sich mit
Händen und Füßen festklammern muß, um auch nur das
Gleichgewicht zu behaupten. Herr v. Bismarck schäumt in's
Gebiß, und wagt nicht, auszuschlagen. That- und rathlos siebt
die Berliner Politik seit Wochen und Monaten da, und selbst
die großen Worte gehen ihr nach und nach aus. Das Ge-
fühl der Unerträglichkeit der bisherigen Lage aber macht sich
Luft, bald in einem abenteuerlichen Vorschläge, bald in einem
gelegentlichen Wuthschrei der ministeriellen Presse, ja zuweilen
sogar in einer ganz verständigen Aeußcruug der Selbsterkennt-
nis. Heute verlangt man ein neues Provisorium, vermöge
dessen auch die Verwaltung von Holstein an Preußen über-
gehen^ soll; morgen bekennt man, daß die Einverleibung
von Schleswig-Holstein kein geringeres Stück Arbeit sein
würde, als seiner Zeit die Eroberung von Schlesien, die be-
kanntlich drei Kriege kostete und Preußen mehr als einmal
an den Rand des Verderbens brachte; am Tage darauf fetzt
man Oesterreich ein brutales Entweder — Oder aus die Brust,
droht mau ihm, bei fortdauernder Unwillfährigkeit, mit einem
Kampfe „bis auf's Messer". Man legt solchen Aeußerungen
der Bismarck'schcn Blätter sicherlich keine übertriebene Bedeu-
tung bei, wenn man sie für Kundgebungen eines fieberhaften
Wechsels verzweifelter Stimmungen innerhalb der Negierungs-
kreise ansieht. Nach irgend einer Seite hin muß dieser Wider-
streit der Leidenschaften und Nothwendigkeitcn, des Wollens
und des Könnens, der Vernunft und der Unvernunft, dem-
nächst zum offenen Durchbruche kommen. Und der Tag, wo
es geschieht, wird entweder der letzte, oder der vorletzte des
Bismarck'schen Regimentes sein; der letzte, wenn dasselbe den
Kampf gegen das Schicksal freiwillig anfgibt, der vorletzte,
wenn cs die Dinge bis zn der unausbleiblichen zerschmetternden
Niederlage treibt. Mit andern Worten: entweder verzichtet
die preußische Regierung, noch ehe es zu spät ist, auf die
Annexion und damit auf ihren Bismarck und auf dessen Sy-
stem, oder sie zerschellt an der Unmöglichkeit der Durchfüh-
rung der Annexion.

Bis zur gemeinschaftlichen Zurückweisung des mittelstaat-
lichen Antrags auf unverwcilte Einberufung der schleswig-
holsteinischen Stände und endliche Anerkennung des Herzogs
Friedrich, hat das österreichisch-preußische Einverständuiß noch
gelangt. Möglich, daß auch noch ein gemeinschaftlicher wei-
terer Schritt der beiden Großstaaten auf der durch die Droh-
noten an den Frankfurter Senat eröffneten Bahn zu Stande
kommt, wiewohl demselben allerlei Schwierigkeiten im Wege
liegen, vor denen man wohl unverrichteter Sache stehen bleiben
würde, wenn es nicht wider alle Etikette wäre, daß der Kaiser
von Oesterreich und der König von Preußen sich von Bürger-
meister und Rath der freien Stadt Frankfurt mit einer ge-
bieterischen Forderung so ohne Weiteres abweisen lassen. Daß
aber, trotz allen Flickwerks, die Fiktion, welche man die öster-
reichisch-preußische Bundesgcnossenschaft nennt, aus den Nähten
geht, lehrt der Augenschein. Mit klingender Münze den öster-
reichischen guten Willen für Preußen erkaufen zu können,
dieser Gedanke zeugt von einer — Naivetät, die das ärgste
Lästermaul dem Berliner Cabinet und der Kölnischen Zeitung
nicht zur Last zu legen wagen würde, wenn man die Beweise
dafür nicht in der Hand hätte. Muß denn einmal Bankerott
gemacht sein, so ist doch offenbar der finanzielle nicht so
schlimm, wie der politische, zumal man durch den zweiten den
ersten sich doch nicht ersparen, sondern viel eher beschleunigen
würde. Die zehn oder zwanzig Millionen Thaler, welche man
in den Gewölben des preußischen Schatzes aufspeichert, und
die der Kölnischen Zeitung ein mehr als hinreichender Preis
für die politische Ehre und die deutsche Stellung des habs-
burgischen Kaiserreichs scheinen, was wären sie für die öster-
reichischen Finanzen anders, als ein Tropfen auf einen heißen
Stein! Könnte man Oesterreich wenigstens die Hälfte seiner
Staatsschuld abnehmen, so möchte von einem Geschäft jener
Art allenfalls die Rede sein können, wiewohl dasselbe auch
alsdann noch sehr zweifelhaft bliebe. Mit einer Art Trinkgeld
aber sich absinden zu lassen, dazu ist das Haus Habsburg
denn doch noch nicht tief genug heruntergekommen, und die
Einstellung der Zahlungen im besten Falle um einige Monate
hinauszuschiebcn, das paßt nicht zu dem großartigen Style,
in welchem die österreichische Politik solche Dinge zu behan-
deln gewohnt ist. Wenn es in Oesterreich wirklich so weit
gediehen ist, daß eine Handvoll Millionen wichtiger erscheint,
als die dringendsten Machtintercsscn des Staats, nun, dann
läßt sich überhaupt nur durch große Maßregeln helfen, und
dann wird die Wiener Politik vor der Nachahmung ihres
eignen Beispiels vom Jahr 1811 schwerlich zurückschrecken.
In den Schuldthurm wurde Oesterreich damals nicht gesteckt
und bevor Jahr und Tag verging, hatte es sogar neuen
Crcdit.
Die große Gefahr Oesterreichs liegt nicht in der Zer-
rüttung seiner Finanzen, sondern in der fast allgemeinen Auf-
lehnung feiner Völker gegen die bisherige Centralisation, in
constitutioneller sowohl, wie in absolutistischer Gestalt. Die Au--
 
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