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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 36 - No. 39 (7. December 1865 - 28. December 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0295
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Wochen-Blatt

des


sLrsUal erst« s.

Herausgegcbrn im Äustrage des Vereins-Ausschusses.

Frankfurt a. M., den 14. December.

1865

37.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Tas Programm des National-
vereins. I. — Zur Charakteristik der Wiener Presse. — Praktische po-
puläre Arbeiterbildung. — Mittheilungen aus dem Nationalverein. —
Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 12. December.
* Mit dem Könige Leopold ist einer der letzten nam-
haften Vertreter der Politik abgetreten, welche in den dreißiger
Zähren die tonangebende in Europa wurde und bis 1848
blieb. Man könnte sagen, der diplomatische Altliberalismus,
oder auch die altlibcrale Diplomatie, ist mit dem Könige der
Belgier begraben. Der neue Ton und die neue Methode,
welche der Bonapartismus in die Behandlung der Staats-
angelegenheiten gebracht hat, findet jetzt vollends freies Spiel.
König Leopold war bis zu feinem letzten Tage eine Respekts-
person, vor welcher und gegen welche man sich in den Ca-
binetten einen gewissen Zwang anthat. Daß diese Scheu jetzt
gewichen, wird zunächst vielleicht Belgien selbst, und in zwei-
ter Reihe Deutschland erfahren. Damit soll natürlich nicht
etwa in die Kannegießeret ciugcstimmt sein, dcrzufolge Napo-
leon III. nur auf den Tod des Königs Leopold gewartet hat,
um einen längst festgcstelltcn Plan der Einverleibung Bel-
giens in's Werk zu setzen. Sicher aber ist, daß die Persön-
lichkeit des verstorbenen Königs ein starker Schutz für Bel-
gien war, viel stärker wahrscheinlich, als alle Mittel der
Sclbstcrhaltnng, welche Belgien in seinen eignen Staatskräften
Pudel. Ueberdies würde ohne die seltene Klugheit, Selbstbe-
herrschung und Festigkeit des Königs Leopold, bei dem schar-
fen Gegensätze, in welchem sich die beiden großen Parteien
des Landes mit fast gleichen Kräften gcgenübcrstehen, die
innere belgische Geschichte schwerlich ohne Störungen ver-
laufen sein, welche dem nachbarlichen Ehrgeize willkommene
Anlässe und Handhaben geboten hätten. Fällt jetzt die schwie-
rige Aufgabe, Belgien in verfassungsmäßiger Ordnung zu
halten, einem schwächern Kopf und einer schwächern Hand
anheim, so wird mit der innern Ruhe des Landes zugleich
die äußere Sicherheit desselben gefährdet. Zur Verwirklichung
einer solchen Gefahr gehören freilich wenigstens Zwei, und
daß der Zweite in der Person des Bismarck'schcn Preußen
bereits gefunden sei, das ist den Unglücksprophcten des Tages
denn doch nicht auf das bloße Wort zu glauben.
Die sogenannte Frankfurter Angelegenheit Oesterreichs
und Preußens ist, gleichviel ob stillschweigend oder durch
förmliche Uebercinkunft der beiden Urheber der „Drohnoten",
aufgegebcn worden. Um zn einem solchen Ende zu kommen,
brauchte man gerade kein zünftiger Diplomat zu sein. Der
Angriff und der Rückzug der großmächtigen Cabinette in

Wien und Berlin findet seine beste Würdigung in dem be-
kannten Dichterworte: „Sei nur brav zu jeder Stunde und
cs fickt Dich Keiner an".
Der Bundestag hat, wie sich voraussehen ließ, nicht
umhin gekonnt, dem Mohl'schen Anträge gemäß zu beschließen,
daß die Beschwerde der Rostocker Nationalvereinsmitglieder
der mecklenburgischen Negierung zur Rückäußerung mitgc-
theilt werden soll. Der preußische Gesandte indessen stimmte
dahin, daß der Bundestag keiner weitern Belehrung bedürfe,
sondern auf die vorliegenden Thatsachen hin ohne Weiteres
seinen Spruch abgebcn könne. Ob dieser Spruch nun aber
auf Abweisung der Beschwerdeführer, oder auf Verurtheiluug
der mecklenburgischen Cabinetsjustiz lauten sollte, das ist zur
Zeit noch preußisches Staatsgeheimniß.
Die seit mehreren Wochen versammelte deutsche Postcon-
ferenz arbeitet unter sehr zweifelhaften Aussichten an der
Herabsetzung und Vereinfachung der Portofätze. Die Post
wird von der deutschen Staatskunst immer noch viel mehr
von der finanziellen als von der staatswirthschaftlichen Seite
aufgcfaßt und behandelt, als eine Quelle bequemer fiscalischer
Einnahmen, nicht als ein mächtiger Hebel der Verkehrsinte-
ressen und der öffentlichen Wohlfahrt. Und da vollends ein
beträchtlicher Thcil des deutschen Postgebiets in den Händen
eines Privatmannes ist, dem cs lediglich auf die gewinnreichste
Ausbeutung eines gewerblichen Monopols ankommt, da der
Fürst von Thurn und Taxis Sitz und Stimme auf der
Poftconfcrcnz hat, die natürlich nur einstimmige Beschlüsse
fassen kann, so muß man sich darauf gefaßt machen, daß bei den
Verhandlungen derselben auch dies Mal wieder der Haupt-
punkt, die einheitliche niedrige Brieftaxe, wie sie in andern
Culturländern längst besteht, nicht zu Stande kommen wird.
Das große bäurische Ereigniß des Tages ist die dem
Könige abgcpreßte Ausweisung Richard Wagners. Versucht
man, der leidenschaftlichen Feindseligkeit auf den Grund zu
sehen, mit welcher der berühmte Componist in Baiern ver-
folgt worden ist, so wird man schwerlich bessere Beweggründe
dafür finden, als schwachköpfigen Fremdenhaß und gemeinen
Neid.

Frankreich. Von den verschiedensten Seiten her kommt der
Bonapartismus ins Gedränge, aus dem er sich nur durch einen Rückzug
um den andern herauszuhetfen weiß. In den meisten Fällen ist die
Quelle der Verlegenheiten der französischen Regierung keine andere, als
die schwierige finanzielle Lage des Staates. Man versucht Ersparnisse
zu machen, welche sich nach Lage der Dinge nicht durchführen lassen,
oder man macht Anschläge zur Eröffnung neuer Hülfsquellen für den
Staatsschatz, bei denen man auf unerwartete Hindernisse stößt und auf
die man schließlich verzichten muß. So ist der löbliche Plan einer finan-
ziell wirksamen Verminderung der Truppenzahl au dem Widerstand des
Soldateugeistes gescheitert, so hat der gute Gedanke einer Beschränkung
des französischen Besitzstandes in Algerien aus ähnlichen Beweggründen
aufgcgcben werden müssen, so hat man nicht durchzndringeu gewagt
mit dem gefährlichen Vorhaben, die Staatswaldungen in klingende
Münze umzusetzen, und so wird man, gegenüber dem einmülhigen Wi-
derspruch von Paris, den barbarischen Beschluß zurücknehmen müssen,
 
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