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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1865 (Nr. 1-39)

DOI Kapitel:
No. 36 - No. 39 (7. December 1865 - 28. December 1865)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44609#0288
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282

der Regierung eigenmächtig abgeschlossene neueste Anleihe bis
jetzt kein ernstliches Wort des Protestes laut geworden, ein
Zeichen der Resignation der Vcrfassungspartei, welches dem
Wiener Cabinette und den Unterzeichnern der Anleihe gleich-
mäßig willkommen sein kann.
Wenn übrigens das Ministerium Belcredi mit der einen
Hand nimmt, so zeigt es sich zugleich bereit, mit der andern
zu geben. Die Herabsetzung des Briesporto auf einen einzigen
niedrigen Satz ist immerhin ein, wenn auch noch so kleines,
Zugeständniß an die öffentliche Meinung und das öffentliche
Bedürfnis;, und die bevorstehende Aufhebung der Zinsbeschrän-
kungcn zeugt wenigstens von dem guten Willen der Erfüllung
dringender Forderungen der wmhschaftlichcn Vernunft. In
Preußen fühlt sich die Regierung bekanntlich viel zu stark,
um auch nur in solchen Nebendingen den Geboten der Klug-
heit oder Wissenschaft Folge zu leisten.
Die seit mehreren Monaten wieder in Frankfurt tagende
Commission für gleiches Maß und Gewicht ist dies Mal end-
lich zu einem festen und einstimmig angenommenen Ergebnisse
gekommen. Bis zur Einführung desselben in das Geschäfts-
leben ist freilich noch ein weiter Weg durch dreißig Cabinette
und eben so viele Landtage hindurch, und Deutschland kann
von Glück sagen, wenn dieser Weg in den nächsten zehn Jah-
ren zurückgelegt wird.
Aus Preußen, 3. Dccembcr. Die ministerielle „Prov.-
Corr." hat sich beeilt, die Verantwortlichkeit sür die in mei-
nem vorigen Briefe erwähnten alarmirendcn Leitartikel der
Krcuzzcitnng gegen die „Annexions-Sanguiniker" Namens der
Regierung zurü'ckzuweisen, und die Kreuzzeitung ist sehr stolz
auf das ihr ausgestellte Zeugniß eines „zwar befreundeten,
aber doch unabhängigen" Blattes. Es ist lediglich Bescheiden-
heit, wenn sie in eigener Sache nicht wiederholt, was sie kürz-
lich gegen die österreichische „Debatte" vorbrachte, daß näm-
lich die Unrichtigkeit und Lügenhaftigkeit der Nachrichten den
sichersten Beweis für den nicht offiziösen und also unab-
hängigen Charakter einer Zeitung liefern. Nach diesem Maß-
stabe gemessen wäre die Kreuzzeitung''sicher das unabhängigste
Blatt, welches jemals existirt hat. Die „Prov.-Corr." erklärt
also, „alle Vermuthungeu und Behauptungen einer Aenderung
der Politik Preußens, sei cs in der schleswig-holsteinischen
Angelegenheit, sei cs in anderen Fragen, seien lediglich müßige
Erfindungen. Die Regierung habe ihr bisheriges Ziel ui
Schleswig-Holstein nicht aufgegeben, und wolle sich mcht mit
bescheideneren Erfolgen begnügen. Es liege zu einer Verände-
rung der fchleswig-holsteinischen Politik weder in den Auf-
fassungen der Negierung, noch in der thatsächlichen Lage der
Verhältnisse, zumal in den Beziehungen Preußens zu Oester-
reich und zu den übrigen Mächten, auch nur der mindeste
Anlaß vor." Nebenbei wurde ebenfalls offiziös die Nachricht,
daß Rußland wieder die Personal-Union der Hcrzogthümcr
mit Dänemark in die Verhandlungen geworfen habe, als Ente
bezeichnet. —
Uebcr das „bisherige Ziel" der Negierung in der schles-
wig-holsteinischen Frage, und die »bescheideneren Erfolge",
läßt sich allerdings mit dem offiziösen Blatte schlecht streiten.
Es hat darin ein zu weites Feld; denn die Regierung hat
bekanntlich nur einmal in den Februar-Forderungen ein be-
stimmtes Programm ausgestellt, welches sie aber schon längst
wieder als einen „überwundenen Standpunkt" bezeichnet hat.
Ebenso hat sie einmal in offizieller Staatsschrift die Annexion
die „beste und wünschenswerteste" Lösung genannt, aber nur,
um dabei zu erklären, daß sie dieselbe wieder aufgegebcn habe.
Nun mist; man, bei den sichtlich getäuschten Erwartungen der
Negierung allerdings wohl annchmen, daß der Unterhändler
des Gastemer Vertrags, obgleich derselbe, seinem Wortlaute
nach, die Wiedercinkeyr in den Bundestag ist, von der
Einbildung beherrscht gewesen ist, er werde denselben unter
Oesterreichs Zustimmung als die erste Etappe auf dem
Wege zur Annexion benutzen können. Diese Rechnung ist
aber offenbar falsch gewesen; das zeigt die ganze Haltung
Oesterreichs in Holstein und überall sonst. Die beiderseitigen

Offiziösen sind auch wenigstens darüber einig, daß bis jetzt
weder in der Frankfurter, noch in der schleswigPolsteinischen,.
noch in der deutschen Frage eine Verständigung zwischen den
beiden deutschen Großmächten erzielt sei. Die neue österrei-
chisch-französische Freundschaft steht freilich wohl auf fehr-
schwachen Füßen, fo lange Oesterreich an seiner traditionellen,
italienischen Politik festhält; aber, wenn der Kaiser Napo-
leon auch uicht gesagt haben sollte, „Bismarck sei als
Staatsmann nicht ernsthaft zu uehmeu", die offiziöse franzö-
sische Note über dessen „Courtoi sie während seiner Audienz
beim Kaiser" fügt doch offenbar noch den Spott zu dem
Nichterfolg. Und daß Oesterreich, übermüthig durch den lange
entbehrten Besitz klingender Münze, die cs der französischen
Freundschaft, angeblich nach einem eigenhändigen Schreiben
des Kaisers Franz Joseph, verdankt, gefügiger gegen die-
VergrößerunbZpläne Preußens werden sollte, als bisher, das
wird selbst em Offiziöser kaum zu behaupten, geschweige denn
zn glauben wagen- Seine Haltung gegenüber dem sächsisch-
bairischen Anträge in der schleswig-holsteinischen Frage er-
klärt sich ganz gut aus dem Wunsche, das Pfand für die-
Willfährigkeit Preußens in eigenen Händen zu behalten.
Trotz des offiziös bethcucrtcn ungestörten Einverständ-
nisses zwischen Oesterreich und Preußen sagen sich die beiden.
Cabinette durch audere Offiziöse die größteu Grobheiten.
Oesterreichische Stimmen versichern, Bismarck habe, um die
sinanziellen Verlegenheiten Oesterreichs zur Verwirklichung der
Annexion auszubeuten, die Berliner Geldmänner „durch hö-
here Gewalt" an Zeichnungen für die österreichische Anleihe
verhindert und den Hrn. v. Rothschild zu einer plötzlichen
unmäßigen Steigerung feiner Bedingungen bestimmt. Daneben
sprechen sic die beleidigende Vcrmuthung aus, daß Preußen
vielleicht bald aus der „offcuen Thür", iu welche einzutretcn
es freundlich eingeladen zn sein behaupte, auf sehr uuhöflichcm-
Wegc herausbefördcrt werden werde. Dagegen beschwert sich
die ministerielle „N. A. Z." bitter über die persönlichen Be-
leidigungen der österreichischen Presse gegen das Cabinet und
den König, so wie über die ganze Haltung des österreichischen.
Botschafters in Paris. „Nur die Achtung vor dem Oester-
reich an der Donau, sagt sie, nicht die für das Oesterreich,
wie cs an der Seine vertreten ist, legt uns noch Rück-
sichten auf." Das ist also die Lösung dieser Widersprüche..
Die beiden deutschen Großmächte sind ganz einig; nur der
preußische Ministerpräsident und der Österreichische Gesandte
an den gegenwärtig wichtigsten Posten können sich nicht lei-
den und zanken sich! —
Das ganze Gerede der ministeriellen „Prov.-Corr." läuft
augenscheinlich darauf hinaus, daß die preußische Negierung,
gegenwärtig die Annexion und die Allianz mit Oesterreich inr
Interesse einer „ consexvativcn Staatsordnung" wünscht,
daß sie aber über die Bedingungen derselben noch keine
Verständigung hat hcrbeiführen können, wahrscheinlich, weil
selbst sie den Preis nicht zu zahlen wagte, den Oesterreich
forderte — die Garantie des gegenseitigen Besitzstandes! Das
ist nicht weiter neu und hätte so vieler Worte nicht bedurft.
Auch iu der Droh noten-Angelegenheit gehen dic
Nachrichten aus den beiden Lagern auseinander. Zwar be-
haupten die einen wie die andern, trotz des entgegcnstehenderr
Wortlauts der Thil «fischen Noten, daß Preußen von Anfang,
an nur durch den Bundestag gegen Frankfurt habe
agiren wollen; aber wenn dieser den gemeinschaftlichen Antrag,
der Großmächte, wie den einseitigen Preußens ablchncn sollte^
fo stellt die „N. A. Z." noch heute dessen „ Selbsthülfc"
zur Erledigung feiner gerechten Reklamationen in Aussicht,,
während die Krcuzzcitnng versichert, „daß von einem Verfah-
ren außerhalb des Bundestags gar nie die Rede ge-
wesen sei." Der Nachricht, daß Preußen auf einer Aus-
n a h in s maßregel gegen Frankfurt bestehe, während Oester-
reich, vielleicht aus Besorgnis; vor einem Präcedenzfall für
ein einseitiges Vorgehen Preußens in dessen „Machtsphäre",
sich nur auf eine allgemeine Maßregelung durch die Bun-
desgesetzgebung entlassen wolle, tritt man im Namen,
unserer Negierung mit dem Vorwurf „entstellter Darstellung"
 
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