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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Korth, Leonard: Der Reliquienschrein der Heiligen Gervasius und Protasius zu Breisach
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0060

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1903.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

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er unterwegs die Stadt Breisach, deren schönes
Münster damals schon auf dem Felsen dicht
am Flusse stattlich emporragte, durch seinen
Besuch geehrt habe; und ebensowenig dürfte
sich ein ernsteres Bedenken gegen die ehr-
würdige Überlieferung erheben lassen, dafs er
bei diesem Aufenthalte den Bitten der Bürger-
schaft um einen Teil seiner Reliquienschätze
willfährig gewesen sei. Die legendenhafte Aus-
schmückung, dafs ein Wunder ihn zu dem
Geschenke bewogen habe, bleibt dabei selbst-
verständlich aufser Betracht.

Soviel ist jedenfalls gewifs, dafs Breisach
schon verhältnismäfsig früh in dem Rufe stand,
die Überreste der Heiligen Gervasius und Pro-
tasius, und zwar seit deren Fortführung aus
Mailand, zu besitzen. So beurkundet unter
anderm Erzherzog Rudolf IV. von Österreich, der
eifrig darauf bedacht war, die zurKollegiatkirche
erhobene St.Stephanskirche in Wien mit Reliquien
auszustatten, dafs ihm Geistlichkeit und Bürger-
schaft von Breisach am 29. April 1358 auf
sein Ansuchen Teile von den Leibern der
Heiligen Gervasius und Protasius überlassen
haben. Der Baseler Erhart von Appenwiler,
der zwischen 1447 und 1471 eine Handschrift
der sächsischen Weltchronik mit Anmerkungen
versah, schrieb dabei zur Geschichte Kaiser
Friedrichs I.: „Under diesem keyser körnend
die drig kunige von Meylant gen Cöln und
Gervasius und Protasius die blibend zu Brisach."

Dafs den Heiligen, die alsbald neben dem
Protomartyrer Stephanus als Stadtpatrone galten,
in der Münsterkirche schon früh — nachweisbar
seit dem XIV. Jahrh. — eigene Altäre und
Kaplaneien gestiftet waren, bedarf kaum der Er-
wähnung. Ein überaus kostbares Zeichen dank-
barer Verehrung jedoch beschlofs ihnen die
Bürgerschaft zu weihen, nachdem auf ihre Für-
bitte, wie der fromme Glaube vertraute, im Jahre
1474 die Schreckensherrschaft des Vogtes Peter
von Hagenbach (den man wohl als das Urbild
Gesslers bezeichnet hat) ein Ende gefunden
hatte und wenige Jahre später auch die Gefahren
einer grofsen Überschwemmung abgewendet
worden waren. Es scheint fast, als habe der
fluchbeladene Hagenbach selbst die erste An-
regung zu einem solchen Weihegeschenk ge-
geben, denn eine Urkunde vom 23. August 1474
bezeugt, dafs er während seiner Gefangenschaft
m Gegenwart seines Beichtvaters dem Himmels-
fürsten St. Stephan sowie den Heiligen Gervasius
und Protasius hundert Gulden in bar und einen

goldenen Siegelring überwiesen habe. An dieses
Vermächtnis mag sich dann die anderweitig
bezeugte Sammlung unter der Bürgerschaft an-
geschlossen haben, welche schliefslich mit einem
Ertrage von 1400 Gulden die Mittel zur Her-
stellung eines prachtvollen silbernen Reli-
quienschreines gewährte. Bis dahin hatten
die Gebeine der Schutzpatrone in einem heute
noch erhaltenen, ehedem wohl reich gefafsten
hölzernen Schreine von verhältnismäfsig ge-
ringem Umfange geruht.

Der einheimischen Sage nach wäre das
grofse und köstliche Werk durch einen zur
Kerkerstrafe verurteilten Goldarbeiter aus Brei-
sach ausgeführt worden, allein in Wahrheit
unterrichtet uns eine Inschrift auf dem Schreine
selbst über Namen und Herkunft des Meisters:
,,Petrus Berlyn de Wimpffina anno d. 1498."

Wer aber war dieser ausgezeichnete Künst-
ler, der hier mit so hoher technischer Voll-
endung eines der trefflichsten Erzeugnisse spät-
gotischer Silberschmiedearbeit geschaffen hat?
Vergebens durchforschen wir die kunstgeschicht-
lichen Handbücher und Nachschlagewerke nach
seinem Namen; selbst Marc Rosenbergs um-
fangreiche Zusammenstellung von Werkzeichen
läfst uns im Stiche. Nur über die Herkunft
des Meisters habe ich einige wenige Nach-
richten zu ermitteln vermocht.

Aufser allem Zweifel steht zunächst, dafs
Peter Berlyns Heimat in Wimpfen a. Neckar
zu suchen ist. Dort begegnet seine Familie
seit der Mitte des XIV. Jahrh. im Besitze der
vornehmsten städtischen Ämter, ja, Träger des
Namens Peter Berlyn erscheinen in der Zeit
von 1500 bis 1552 dreimal als Bürgermeister.
Auch im benachbarten Heilbronn zählten die
Berlyn zu den angesehensten Geschlechtern.

Dafs unser Meister in seiner Heimatstadt,
die heute, nach so vielfältiger Verwüstung und
Vernachlässigung, noch überreich ist an den
herrlichsten Denkmälern der Baukunst und der
Bildnerei, mit künstlerischen Eindrücken erfüllt
werden konnte, braucht nicht erst gesagt zu wer-
den. Möglich, dafs der um das Jahr 1470 im Do-
minikanerkloster zu Wimpfen am Berg verstorbene
Bruder Friedrich Dannecker, der mutmafsliche
Schöpfer vortrefflicher Holzschnitzereien in der
Klosterkirche, ihm den ersten Unterricht vermit-
telt hat. Wertvoller aber als alle Vermutungen
und Forschungen solcher Art wäre der Nachweis
weiterer Arbeiten von der Hand Peter Berlyns.

Strafsburg im Elsafs. Leonard Korth.
 
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