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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Braun, Joseph: Das Rationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0075

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113

1903.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

114

Aufserhalb Deutschlands scheint das Ornat-
stück nur sehr vereinzelt in Gebrauch gewesen
zu sein. Barbier de Montault hat es auch auf
Grund einer mittelalterlichen Bischofsstatue für
den Bischof von Poitiers nachweisen wollen.36)
Indessen dormitat aliquando bonus Homerus.
Der sonst so bedächtige Forscher hat diesmal
die bei der fraglichen Statue wie übrigens auch
sonst nicht selten etwas stark hervortretende
Umbordung des Kopfdurchlasses mit einem
Schulterkragen verwechselt.

Bis jetzt ist uns nur ein aufserdeutscher
Bischof bekannt geworden, der sich des Ra-
tionales im Sinne eines Schulterkleides bedient
hätte, der Bischof von Krakau. Freilich besafs
auch der Bischof von Toul das Privileg, das-
selbe zu tragen — es
wurde zu Toul statt ra-
tionale richtiger superhu-
merale genannt.87) — Al-
lein wie Lüttich ehedem
zum Metropolitanverband
Cöln, so gehörte Toul als
Suffragan zum Metropoli-
tanverband Trier, dessen
Dekan zu sein der Touler
Bischof sogar behauptete.
Im Dom zu Krakau ist
noch ein Rationale vor-
handen, welches laut Auf-
schrift ein Geschenk der
Königin Hedwig, Tochter
Ludwigs von Ungarn, ist.
Später bedienten sich die
Krakauer Bischöfe des Palliums.38)

Die Form des Rationales war weder überall
noch zu allen Zeiten dieselbe. Wie die übrigen
Ornatstücke hat auch das Rationale seine Ent-
wicklung gehabt.

In Paderborn erscheint es, soweit die Monu-
mente ein Urteil gestatten, in seiner ältesten
Gestalt als ein dem Yartigen Pallium formver-

Rationalc im Kgl.
zu München,

tatsächliche Verwendung des Ornatstückes machen
darf? Man darf nicht vergessen, dafs zu den Siegeln
nicht selten auswärtige Vorlagen genommen oder dafs
dieselben auswärts angefertigt wurden.

56) Particularite's du costume des fiveques de Poitiers
in Bullet, monument. 1877 p. 623 svtes.

37) De Vert, Explication des cfirgmonies de la
messe I, 153.

38) Alex. Przezdziecki et Eduard Rasto-
wiecki, Monuments du moyen-äge dans l'ancienne
Pologne Nr. 17.

wandter Schmuck. Man vergleiche z. B. die
Siegel Willbrands von Wildeshausen (1225 bis
1227) und Bernhards IV. (1227—1247), sowie
die Statue des hl. Liborius (?) am Portal der
Domkirche zu Paderborn (XIII. Jahrh.). In
späterer Zeit wurde es zu Paderborn eine Art
von Schulterkragen, der vorn und hinten mit
zwei Behängen versehen ist.

Sehr lehrreich ist in Bezug auf die Ent-
wicklung des Rationale das Pontifikale Gunde-
kars II. zu Eichstätt mit seinen Abbildungen
der Eichstätter Bischöfe. Es wurde unter Gun-
dekar IL begonnen und reicht bis zum Jahre
1540. Die Serie der Eichstätter Bischöfe bis
Gundekar IL (f 1076) einschliefslich entstand
noch unter dem Pontifikat Gundekars, die Bilder
der Bischöfe des XII.
Jahrh. wurden um 1200
gemalt, die übrigen nach
und nach hinzugefügt. Es
läfst sich allerdings nicht
verkennen, dafs bei diesen
Darstellungen die Phan-
tasie des Künstlers ein
gutes Stück mitgearbeitet
hat. Eine so bunte Man-
nigfaltigkeit, wie sie uns
hier in Bezug auf die
Gestalt und Ausstattung
des Rationales entgegen-
tritt, ist zweifelsohne
nicht vorhanden gewesen.
Sieht man indessen von
den Einzelheiten ab und
achtet man blofs auf den Typus, so dürfen die Mi-
niaturen als treues Spiegelbild der Entwicklung
des Ornatstückes gelten. Bei den Bischöfen des
XII. Jahrh., bei welchen dasselbe zuerst vor-
kommt, steht es, was die Form anlangt, dem Pal-
lium noch recht nahe, nur dafs der Behang
kürzer ist, wie bei diesem und auf den Schul-
tern bei der Mehrzahl der Darstellungen
scheibenförmige Zierstücke angebracht sind.
Im XIII. Jahrh. entfernt sich das Rationale
immer mehr vom Pallium, indem es sich in
demselben Mafse der Kragenform nähert, bis
im Beginn des XIV. Jahrh. die doppelten Be-
hänge auf Brust und Rücken auftreten.39)

Bayrischen Nationalmuseum
(Rückseite.)

•*) Vergl. die Abbild, der Miniaturen in »Eich-
stätts Kunst, Festschrift zum goldenen Priesterjubiläum
des hochw. Herrn Bischofs Dr. Franz Leopold Frei-
herrn von Leonrod«, München 1901.
 
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