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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Braun, Joseph: Das Rationale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0080

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123

1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 4.

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statt des gallikanischen Ritus den römischen
und mit ihm die römische Kultkleidung ein-
führte, keinesfalls überlebt. Es ist nicht einzu-
sehen, wie ein Schultergewand, das uns zu-
erst auf deutschem Boden um 1000 begegnet
und nur hier, nicht aber in Gallien im Ge-
brauch erscheint, mit einem mehr als fraglichen,
durch die liturgische Reform im VIII. und IX.
Jahrh. auf alle Fälle beseitigten gallikanischen
Pallium zusammenhängt oder gar identisch ist.
Allem Anschein nach haben zwei Faktoren
bei Entstehung des Rationales im Sinne eines
Schulterschmuckes zusammengewirkt, die Er-
innerung an das Schultergewand und den Brust-
schmuck des Hohenpriesters, und das Bestreben,
eine wirkliche oder vermeintliche hervorragende
Stellung in der hierarchischen Ordnung durch
ein Abzeichen äufserlich zu manifestieren. Bei
dem Bamberger Rationale ist die Beziehung
zum Hohenpriesterschmuck unverkennbar. Die
Form, welche das Ornatstück ursprünglich
in Regensburg und Eichstätt hatte und in
Würzburg bis ins XVII. Jahrh. beibehielt, er-
innert nur wenig an das Rationale des Alten
Bundes, dafür tritt aber hier der Anklang
an das Pallium schärfer hervor. Dafs wirk-
lich beide Faktoren bei Entstehung des Ornat-
stückes mitgewirkt, erhellt aus den Bullen,
in welchen Innocenz II. den Bischöfen Adal-
bero II. von Lüttich und Bernhard I. von
Paderborn das Recht verleiht, das Rationale
zu tragen.

„Billig ist es, dafs du", so heifst es in der
zweiten, „für die Willfährigkeit, welche du ge-
zeigt, vom apostolischen Stuhl einer besonderen
Ehrung teilhaft werdest und . . . zeitlich wie
geistlich willkommenen Vorteil empfangest. Und
weil du wie ein anderer Aaron zum Gipfel der
bischöflichen Würde durch Gottes Walten be-
rufen und an Stelle Mosis zum Herrscher und
Leiter des christlichen Volkes hingestellt wardst,
so machen wir dich auch ihrer Auszeichnung
teilhaft und verleihen dir und deinen Nach-
folgern aus des apostolischen Stuhles Gnade
den Gebrauch des Rationales." In der für
Adalbero bestimmten Bulle aber sagt der Papst:
„Und wie sie (die römische Kirche) als gute
Mutter ihre Kinder zu Hohem erhebt und an-
dere zu Patriarchen, andere zu Erzbischöfen,
andere zu Bischöfen macht, so ziert sie aus der
reichen Fülle der ihr von Gott verliehenen

Gaben dieselben auch voll Milde mit dem
Schmuck verschiedener Abzeichen."

In der zweiten Bulle erscheint das Ra-
tionale in aller Bestimmtheit als Gegenstück
des erzbischöflichen Palliums. Daher denn auch
seine Verwendung ähnlichen Beschränkungen
unterlag. Es durfte gerade wie das Pallium
nur im Bereich der eigenen Diöcese und zwar
blofs bei wenigen ausdrücklich festgesetzten Ge-
legenheiten und Festen getragen werden. Dazu
war sein Gebrauch nur in der Kirche, also z. B.
nicht bei Prozessionen gestattet.

„Wir verordnen", sagt die für Bernhard von
Paderborn erlassene Bulle, „dafs du dich des
Rationales nur in der Diöcese innerhalb der
Kirche am grünen Donnerstag, an Ostern,
Christi Himmelfahrt, Pfingsten, am Geburtsfest
Johannes d. T., an den Festen der Apostel-
fürsten und der Gottesmutter, am Allerheiligen-
feste, an Epiphanie, am Feste des hl. Liborius,
bei der Einweihung von Kirchen und der Or-
dination der Kleriker und am Jahrestag der
Konsekration der Kathedralkirche bedienest".
Ahnlich lauten die Bestimmungen der Bulle, in
welcher Innocenz IL Adalbero den Gebrauch
des Rationales gestattet.

Wenn man aber das Ornatstück Rationale
nannte und ihm eine von dem Pallium mehr
oder weniger abweichende, von Erinnerungen
an den alttestamentlichen hohenpriesterlichen
Schulter- und Brustschmuck beeinflufste Form
gab, so geschah das zweifelsohne um es von
dem Pallium zu unterscheiden und einer Ver-
wechselung beider Ornatstücke vorzubeugen.

Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so
ergibt sich, dafs um die Wende des Jahrtausends
ein pontifikaler Schmuck, das Rationale, auf-
taucht, für dessen Entstehen neben anderm die
Erinnerung an den Brustschmuck des jüdischen
Hohenpriesters nicht ohne Bedeutung gewesen
ist. Es war die Zeit, in welcher sich ein lebhaftes
Streben bemerklich machte, die Pontifikalgewan-
dung möglichst glänzend zu gestalten, die Zeit,
welche dieselbe auch um Handschuhe und Mitra
bereicherte. Das Rationale tritt in zwei Formen
auf, als Brustschmuck und als ein dem Pallium
nachgebildetes Schulterkleid. In ersterer kommt
es noch vor Ende des Mittelalters völlig in Ab-
gang, für letztere hat sich vereinzelt bis in
die Gegenwart der Gebrauch erhalten.

Luxemburg. J. Braun S. J.
 
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