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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Schmid, W. M.: Ein gotisches Büstenreliquiar im bayerischen Nationalmuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0127

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197

1903. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

198

Nach der Tracht der Zeit ist die Büste der
Heiligen mit einem Gewände mit rundem Hals-
ausschnitt (gleichlaufend mit der Nietfuge) und
darüber mit einem Mantel bekleidet zu denken.
Die Säume dieser Gewänder sind markiert ge-
wesen durch Reihen von gefafsten Edelsteinen,
wovon noch die Nietlöcher, in denen ver-
einzelt Reste der silbernen Nieten zu sehen,
zeugen. Auf beiden Schultern war ehemals
ein möglicherweise mit Email verziertes Besatz-
stück angebracht; heute ist
dieses nur mehr auf der
linken Schulter vorhanden.
An vier Stellen des Haup-
tes zeigen doppelte Niet-
löcher an, dafs hier ein
Heiligenschein oder wahr-
scheinlicher eine Krone be-
festigt war. Am Boden ist
ein verschlungenes Band
eingraviert, das auf qua-
driertem Grund in etwas
steifen Majuskeln folgende
Inschrift enthält: f sivester-
chungunt - von • eglofshaim ■
prioriii ■ ze ■ vichbach ■ hat ■
mich ■ er ■ zeugt ■ m ■ ccc-XL
■ V ■ symonis ■ yude ■ ward ■
ich ■ perait.

Damit ist das Jahr 1345
als Entstehungszeit der Bü-
ste und ihr früherer Bestim-
mungsort bekannt. Das
Kloster Niederviehbach a.
d. Isar, Bezirksamt Dingol-
fing, war ursprünglich ein
Jagdschlofs der Grafen von
Leonsberg. Unter dem
letzten Grafen Berengar dieses Geschlechtes I
und seiner Gemahlin Agnes wurde es 1315 in
ein Augustiner-Nonnenkloster umgewandelt und
genofs besondere Gunstbezeugungen von seiten
der bayerischen Herzöge und der Bischöfe von
Regensburg. Von 1320 bis zur Säkularisation
1803 standen 40 Priorinnen dem Kloster vor,
deren erste die in der Inschrift genannte Kuni-
gunde von Eglofsheim war. Seit 1847 sind
Dominikanerinnen in die im XVIII. Jahrh. be-
deutend erweiterten und im Zeitstil umge-
bauten Räume eingezogen.

Während der zur Darstellung gebrachte
Teil des Oberkörpers des Reliquiars garnicht

Abb.

modelliert ist, zeigt das Haupt eine desto
gröfsere künstlerische Durchführung. Das Ge-
sicht hat ein schönes, regelmäfsiges Oval mit
schwachen Einziehungen bei der Schläfe und
beim Kinn; vermieden ist das in dieser Zeit
so häufige Vortreiben der Stirnbeinhöcker, wo-
durch dreieckige Gesichter entstehen. Die
treffliche Beobachtung bei gleichzeitiger strenger
Idealisierung erweist sich in dem überaus
feinem Oval des Kopfes, wie es die Seiten-
ansicht der Büste zeigt. Die
Mängel des Profiles liegen
zum Teil in der Technik,
zum Teil im Stilcharakter.
Zum letzteren zählt das
Fehlen der Naseneinsen-
kung und das weite Aus-
einanderstehen der stark
geöffneten Augen. Eine
günstige Belebung des Ge-
sichtsausdruckes bringt das
ja bei allen Skulpturen der
um jene Zeit herrschenden
Stilrichtung übliche Lä-
cheln mit sich, ohne dafs
es, wie häufig zu sehen, in
ein Grinsen ausartet. Wenn-
gleich zu beiden Seiten des
Kopfes gleichmäfsig ange-
ordnet, sind die Haare
doch von einer malerischen
Wirkung, die in erster Linie
der vorzüglichen techni-
schen Behandlung, stark
hervorgetriebenes Relief
mit Gravierung, zuzuschrei-
ben ist.

Der hohe künstlerische
Wert macht es gerade durch den Mangel an ein-
heimischem Vergleichsmaterial schwer, über den
Entstehungsort des Reliquiars Bestimmtes zu
sagen. Es ist möglicherweise aufserbayerischen,
vielleicht rheinischen Ursprunges. Eine gewisse
Wahrscheinlichkeit spricht aberauchfür Regens-
burg, den Hauptort der Diözese, wo übrigens
nach dem Eingangs Gesagten die Goldschmiede-
kunst Bedeutendes leistete und wo auch in der
sonstigen, schon seit Beginn des XIV. Jahrh. in
reicher Blüte stehenden Plastik ein Höhepunkt
der stilistischen Entwicklung erreicht war, wie
er in dem Reliquiar seinen Ausdruck findet.
München. W. M. Sc hm id.
 
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