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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Kleinschmidt, Beda: Der mittelalterliche Tragaltar, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0206

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325

1903.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 11.

326

Meistens war aber der tafelförmige Altar
auf der Deckplatte und auch an den andern
Seiten mit mehr oder minder reichen Metall-
verzierungen versehen. So befinden sich im
„Weifenschatz" zwei weitere tafelförmige Altär-
chen, bei denen der den Stein umgebende
Holzrand mit ornamentiertem Silberblech be-
schlagen ist.

Die zweite Form des Portatile ist die eines
Buchdeckels oder Diptychons.44) Wahr-
scheinlich um den Altarstein besser zu schützen
und den Altar selbst sicherer transportieren zu
können, gab man ihm diese Form. Der Altar-
stein befand sich wohl auf der inneren Seite |
des ersten Deckels, mit dem zweiten wurde
er auf dem Transport zugedeckt. Einen solchen
Altar besafs das Kloster von St. Vito zu Ver-
dun im XI. Jahrh.; nach dem alten Bericht
war er aus reinstem Golde und von wunder-
barer Arbeit nach Art von Tafeln angefertigt;
wurden die Tafeln geöffnet, dann hatte man
den Altar, war er geschlossen, benutzte man
ihn als Unterlage für den Arm des hl. Panta-
leon. Er ruhte auf den gegossenen Figuren
der vier Evangelisten.411)

Leider scheint kein einziges Altärchen von
dieser seltenen Form die Stürme der Zeiten

Ebenholzrahmen (29 X 21,ö X 2,5 cm) aus dem Ende
des XVII. Jahrh. sei ebenfalls noch erwähnt; Orna-
mente fehlen jetzt.

44) Diese von mir als Diptychon-Fortatile bezeich-
nete Form ist wohl zu unterscheiden von den in unsern
archäologischen und kunstgeschichtlichen Büchern
häufig genannten Reisealtärchen in Form eines Dip-
tychon oder Triptychon, welche aus zwei oder drei
mit Reliefs verzierten Elfenbein- oder Metallplatten
bestehen. Diese verzierten Platten dienten nur der
Privatandacht, sie bildeten keine Opferstätte für
die hl. Messe, werden daher mit Unrecht als Altar be-
zeichnet ; sie stehen auch in keinem wesentlichen Zu-
sammenhange mit dem Allare, wenngleich sie stark
an die Retabeln oder an die Triptychen des festen
Altares erinnern und zuweilen vielleicht auch deren
Stelle vertreten haben; wir lassen sie daher in unserer
Studie unbeachtet. Eine passendere Bezeichnung dürfte
Devotions- Diptychon sein, der Name Reisealtärchen
ist wenigstens sehr mifsverständlich, um nicht zu
sagen falsch.

45) Der sehr eingehende Bericht des Chronisten
über dieses Portatile lautet: „Factum est altare gesta-
torium ex auro purissimo interius mire fabrefactum opere
consimtli studio et largitione domni Herimanni comi-
tis in modum tabularum consertum et compactum,
quod cum aperitur, et altare est et tabulae aperiuntur,
quibus si moram adhibeas, quod est instrumentum
Moysi et Aaron imaginibus gloriosum, figuram Domi-

überstanden zu haben, wenn man nicht viel-
leicht das sogen. Reliquiar Heinrichs II. in
der „Reichen Kapelle" zu München als Por-
tatile bezeichnen darf. Dasselbe besteht aus
zwei zusammengeklappten Holztafeln, die Mitte
der Vorderseite der ersten Tafel nimmt eine
rechteckige Bergkristallplatte ein, welche einen
Einblick ins Innere gestattet; vielleicht diente
sie als Ersatz für den Altarstein; die Rückseite
der zweiten Tafel ist mit einer silbervergoldeten
Platte bedeckt, welche folgende Verzierungen
zeigt: zu oberst sieht man das Lamm Gottes,
dann die Ecclesia zwischen Aaron und Mel-
chisedech, ersterer fängt das Blut des Lammes
auf, endlich noch zu unterst das Opfer Abra-
hams. Im Innern hat diese Tafel eine kreuz-
förmige Vertiefung zur Aufnahme einer Par-
tikel vom hl. Kreuze.

Die Darstellungen der zweiten Tafel sind
umgeben von der Umschrift: In hoc altari
sanetorum reliquiae conti?ieniur, quoruvi hie
nomina scripta habenlur etc. Es dürfte uns
hier in der Tat ein Exemplar und zwar das
einzige eines Diptychon - Altärchens erhalten
sein. Diese Annahme wird nicht nur durch

l

I die angegebene Inschrift, sondern auch durch
den Bilderschmuck sehr wahrscheinlich ge-
macht. Nach den »Kunstdenkmalen von Bayern«
ist die Rückseite allerdings vielleicht jüngeren
Datums als die Vorderseite, welche ursprünglich
wohl sicher als Reliquiar gearbeitet wurde.46)

Die dritte Form des Portatile ist uns eben-
falls nur in einem einzigen Monumente er-
halten, in dem berühmten Tragaltar des Königs
Arnulf von Kärnthen (-(-899), einem der

nicae crucis exprimit. Habet hoc a quattuor cardi-
nibus quattuor evangelistarum hominis, leonis, tauri
et aquilae species, ex argento opere, fusili praefatum
altare portantium et se invicem versis vultibus aspi-
cientibus. Super ipsum vero altare brachium S. Pan-
taleonis ponitur ligno inclusum argento et auro deco-
ratum". Hugo Fl aviniacensis, Chronicon Virdun.
c. 8 Migne P. L. CLV, 209. — Bei der Erhebung
des englischen Bischofs Acca (f 740) fand man auf
seiner Brust eine Holztafel, die „nach Art eines Al-
tares aus zwei Tafeln zusammengesetzt war". Zwar
waren die beiden Tafeln durch silberne Nägel ver-
bunden, aber immerhin läfst sich auch hier an ein
Diptychon-Altärchen denken. Cfr. Simeon Dunel-
mensis, De regibus Anglorum et Danorum; ed.
Twysd en, p. 101.

46) Abbild. Zeltler, Enzler u. Stockbauer,
»Kunstwerke der Reichen Kapelle«, München 1874,
Taf. X. Vergl. ferner: »Die Kunstdenkmale des Re-
gierungsbezirks Oberbayern«. StadtMünchen S. 1090f.
 
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