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Zeitschrift für christliche Kunst — 16.1903

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Buchner, Otto: Zur Tiersymbolik, namentlich auf Grabmälern
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https://doi.org/10.11588/diglit.4075#0232

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1903.— ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

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heifsung. Johannes, als Gegenstück, hat aber der
Symmetrie wegen ein Untier mit einem Kopf
und zwei Leibern erhalten; hier eine sinnbildliche
Beziehung herauszufinden ist schon schwerer.

Am Lettner des Domes zu Halberstadt —
etwa gleichzeitig entstanden mit dem zu Wechsel-
burg — steht wiederum Maria auf einem Dra-
chen, Johannes dagegen auf einer zusammen-
gekauerten männlichen Figur. Wer ist darin
zu erblicken? In Wechselburg, wo sich zu
Füfsen Maria und Johannis eine bärtige und
eine unbärtige männliche kniende Gestalt
findet, hat man auf das besiegte Juden- und
Heidentum geschlossen, aber da die im hohen
Chor des Magdeburger Domes eingemauerten
Apostel und Heiligen ebenfalls auf kauernden
Menschen fufsen, die man früher Nero, He-
rodes usw. getauft hat, könnte man sich zu
der Vermutung hinübergeleitet fühlen, in diesen
Figuren weiter nichts zu erblicken, als ver-
gröfserte Nachbildungen von Elfenbeinschnitze-
reien. So zeigt z. B. der Elfenbeindeckel des
Echternacher Codex in Gotha den gekreuzigten
Christus über der kauernden Gestalt der Terra.

Die Skulpturen im Magdeburger Dome sind
zwischen 1210 und 1220 entstanden, und bil-
den eine Vorstufe zu den reifen Wechselburger
Werken. In Wechselburg begegnen wir auch
noch zwei männlichen Gestalten, die zur Zeit
aufserhalb des Chores aufgestellt sind, ehemals
aber vielleicht mit zu der grofsen Kreuzigungs-
gruppe im Chor gehörten. Die eine stellt
vermutlich Melchisedek dar, einen Mann in
priesterlichem Gewände mit Stab und Kelch.
Er steht auf einem Drachen. Der andere, ein
jugendlicher Mann in römischer Rüstung, viel-
leicht der Hauptmann Longinus, hat einen
Löwen unter den Füfsen. Gehörten beide Fi-
guren einst wirklich zur Kreuzigungsgruppe,
dann sind die Tiere unter ihren Füfsen einfach
aus Gründen der Symmetrie zu erklären. (Vergl.
Hasak S. 24und25.) Bei dem reichen Formen-
schatz, der dem Wechselburger Plastiker zur
Verfügung stand, ist es wohl denkbar, dafs er
die kauernden, als Postament dienenden Wesen
nach Möglichkeit variierte.

Wir haben also im hohen Mittelalter eine
ganze Anzahl von Beispielen stehender Figuren,
mit Tiergestalten unter ihren Füfsen, und
es ist eigentlich nicht verwunderlich, wenn die
Grabplastik diese einmal angeschlagenen
Töne weiterklingen liefs.

Das früheste Beispiel figürlichen Schmuckes
an der Fufsplatte eines Grabmonuments ist das
des Bischofs von Wettin (■{- 1152), im Dom zu
Magdeburg. Der schräggestellten Fufsplatte
einen harmonischen Abschlufs zu geben, hat
der Giefser eine winzige Nachbildung des an-
tiken Dornausziehers zugefügt, noch von För-
ster (»Denkmale« III, S. 17) für eine kleine
„weibliche Figur" gehalten, der der Bischof „zum
Zeichen seiner Keuschheit" den Hirtenstab in
den Nacken setzt. Dies Beispiel ist kennzeich-
nend für das der Romantik eigene Streben,
möglichst viel in die Wejke des Mittelalters
hineinzugeheimnissen.

Dafs dies Streben noch nicht erloschen ist,
zeigt die Besprechung Hasaks über das Grab-
mal des Grafen Dedo und seiner Gemahlin in
Wechselburg. Auf der in reicher Weise aus-
gebildeten Konsole der Gattin schauen aus dem
Geranke zwei Köpfchen hervor, „vielleicht die
beiden vorangegangenen Söhnchen". Da aber
gleiche Bildungen mehrfach an Kapitalen im
Chor des Magdeburger Doms und an der gol-
denen Pforte zu Freiburg auftreten, ist hier die
Vermutung Hasaks abzulehnen.

Im weiteren Verlaufe des Mittelalters bür-
gert sich die Sitte, Tiere zu Füfsen der Ver-
storbenen anzubringen, mehr und mehr ein.
Zum erstenmal bei dem Grabdenkmal des
Wiprecht von Greilzsch in Pegau (XIII. Jahrh.),
wo sich unter der schrägen Fufsplatte die
Fragmente eines Löwen befinden. Derselbe
wurde zwar bei der Restaurierung des Denk-
mals nicht hergestellt, doch erscheint sein Vor-
handensein wichtig im Bereich dieser Betrach-
tung. Förster, und auch noch Otte er-
blicken im Löwen wie im Drachen an Grab-
skulpturen ein Symbol von Tod und Sünde,
Puttrich in den gleichen Tieren das Attribut
männlicher Kraft. Heute gilt der Löwe, wie
ein Blick in die Kunstinventarisationen zeigt,
als „Symbol der Stärke". Wir finden also am
Grabdenkmal zu Pegau dasselbe Tier wie in
Wechselburg zu Füfsen des römischen Haupt-
manns, in Freiburg zu Füfsen Abrahams.

Bei Anlehnung an die hergebrachten Erklä-
rungen erscheint eine Deutung schwer; sehr leicht
indessen bei der naheliegenden Erwägung, dafs
der sich unter die Deckplatte schmiegende
Löwe den unschönen Winkel unterhalb der
Fufsplatte ausfüllen soll, er verdankt also seine
Anbringung lediglich der ästhetischen Emp-
 
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