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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Humann, Georg: Neuzeitliche Kunstbestrebungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0041

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53

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2-

54

II.

Neuzeitliche Kunstbestrebungen.

verstehen. Dann besitzt auch naturgemäß

|jei dem steten Wechsel im Geschmack,
dem Mangel einheitlicher Grund-
sätze, den Übertreibungen und Aus-

_________ wüchsen in der heutigen Kunst

dürfte man die Frage aufwerfen, ob die kirch-
liche Kunst, welche doch vor allem berufen
ist, Werke von dauern dem Wert zu schaffen,
in der Baukunst sogar Werke von jahrhunderte-
langem Bestand, die wechselnden Strömungen
und Experimente der Gegenwart mitmachen
dürfe? Die Anforderungen, welche die Kirche
an ein Gotteshaus stellt, sind im wesentlichen
dieselben wie früher, während die Ansprüche
der Neuzeit an profane, öffentliche und private
Gebäude vielfach andere geworden sind. Die
Bestrebung, Neues zu schaffen, mag sich
daher auf diesem Gebiete betätigen. Wir
wollen es daher durchaus nicht befürworten,
Werke, namentlich Gebäude, welche dem
modernen Verkehr ihre Entstehung verdanken,
als Bahnhöfe und Eisenbahnbrücken (in den
Brückenköpfen) in romanischem oder gotischem
Stil zu bauen, wie dies törichterweise vielfach
geschehen ist. Hier sind neue, geeignete
Formen zu suchen, auch solche, welche in
der Eisenkonstruktion begründet sind.

Im Gegensatze zur profanen hat die kirch-
liche Kunst, insbesondere die Baukunst, gar
keinen zwingenden Grund, sich nach neuen
Formen umzusehen, da erstens, wie gesagt,
die Anforderungen an ein Gotteshaus im
wesentlichen dieselben sind wie früher, und
zweitens das Neue, was ihr geboten wird,
keineswegs besser ist als das Alte. Den großen
Domen der Vergangenheit vermag die mo-
derne Kunst nichts Gleichwertiges entgegen
zu setzen.

Bei dem modernen Stil oder, richtiger
gesagt, der modernen Stillosigkeit und Zer-
fahrenheit wäre es auch nur den höchst-
begabten, feinstfühlenden Künstlern
möglich, vom Alten wesentlich Abweichendes
und doch Gutes, Werke von dauerndem Werte
zu schaffen. Große Künstler sind aber be-
kanntlich zu allen Zeiten selten, und in der
Regel werden leider weniger die begabtesten
Künstler mit Aufträgen bedacht, sondern die,
welche sich vordrängen, sich durch selbst-
bewußtes Auftreten zur Geltung zu bringen
und irgendwelche Konnexionen auszunutzen

nicht jeder Auftraggeber oder Berater das zu
einer wichtigen Wahl erforderliche hohe künst-
lerische Empfinden1).

Aber auch dann, wenn die Zahl der echten
Künstler eine größere wäre, würde die kirch-
liche Kunst (aus den im Heft I angegebenen
Gründen) noch keine neue Blütezeit erleben.
Dr. Fritz Witte, welcher der neuen profanen
Kunst im allgemeinen sympathisch gegen-
übersteht, bemerkt'): „Es muß erst wie eine
Sturmllut über Millionen Männer und Frauen
ziehen, und neuerwachte religiöse Begeisterung
muß die Reihen der Namenchristen von heute
enger schließen. Dann wird eine neue religiöse
Ära ihren Geburtstag feiern, und dann
wird, wie selbstverständlich, der Kirche auch
der neue Kirchenstil in die Wiege gelegt
werden. Die Religion muß wieder einziehen
ins Menschenherz, aus diesem in die Familien,
in die Wohnungen; aus ihnen heraus erst
wird sie den erneuten Triumphzug in die
Kirche halten können".

Eine entschiedene Abweisung ist den im
modernen Sinne geschaffenen Kirchen von
dem als Kunstschriftsteller bekannten Bischöfe

') Das beste Mitte) diesen Übelständen einigermaßen
entgegenzuwirken, sind, namentlich bei Kirchenbauten, die
öffentlichen Konkurrenzen. Neben manchen Schatten-
seiten haben sie außer dem Vorzug, daß nicht ein
Einzelner, sondern ein Kollegium von Preisrichtern
entscheidet, den hohen Wert, daß auch junge, be-
scheidene, aber talentvolle Leute, die jeder Konnexion
entbehren, zur Geltung gelangen können. Diejenigen,
deren Monopol durch Wcttbeweibe durchbrochen
wird, kommen immer mit dem Einwurf, daß ein Bau
durch das Aussetzen von Preisen verteuert werde.
Doch nicht am wenigsten auch gegen Ausnutzung und
Übervorteilung bieten die Wettbewerbe ein wirksames
Gegenmittel, falls bei der Entscheidung auch die
Kostenberechnungen genügend in Vergleich gezogen
werden. Damit der Kostenanschlag nicht, wie es
bei den Ausführungen fast immer der Fall ist, oft
sogar in ungeheurem Maße, überschritten wird,
dürfte sich vielleicht ein kontraktlicher Zusatz emp-
fehlen, daß der Baumeister bei Überschreitungen
in gewisser Höhe sich Abzüge vom Honorar gefallen
lassen muß. In vernünftiger Weise laßt sich viel sparen.
Doch sollte man im Interesse der christlichen Kunst
die Preise bei Konkurrenzen nicht zu niedrig be-
messen, insbesondere die Zahl der Preise 3. bzw. <1.
Klasse nicht beschränken, damit die Bewerber für ihre
großen Opfer an Zeit und Mühen in etwa entschädigt
und nicht von weiteren Arbeiten abgeschreckt werden-

a) „Heliand", I. Jahrg., Heft i.
 
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