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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Reiners, Heribert: Der Meister von Siersdorf, [2]: Ein niederrheinischer Bildschnitzer aus der ersten Hälfte des XVI. Jahrh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0108

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179

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

180

Der untere Teil fällt in einfachen, durch-
gehenden vertikalen Röhrenfalten von den
Hüften bis zu den Knien nieder. Ein krauser
Bandgürtel schnürt die Taille. Die Ärmel
zeigen am Schulteransatz wieder einen ge-
schlitzten Puff und sind unten mit Knöpfen
besetzt. Die Schultern deckt ein kleiner Kragen
mit breiter Borte, am Rande gezackt und mit
Quasten an den Ecken. Er ist vorne nicht
geschlossen, um nicht zu viel vom spielerisch
behandelten Unterkleid zu decken. Ein krauser
Mantel ist lose umgeworfen und in bewußten
Kontrast gesetzt zu den strengen, steilen
Röhrenfalten des Unterkleides wie beim Johan-
nes der Alderhovener Gruppe. Am linken
Knie erscheint ein Zipfel von einem weiteren
Kleidungsstück. Ein Barett deckt das Haupt.
Das ganze Kostüm ist durchaus bizarr und in
so übertriebener Weise am unteren Nieder-
rhein kaum zu finden, obwohl auch dieser, wie
etwa in dem Christophorus der Pfarrkirche
zu Kranenburg, manche Modetorheiten der
weibisch gewordenen Männer uns überliefert
hat. Auf die stilisierten Wellen zwischen die
Füße des Riesen hat der Bildhauer ein Schiff-
lein gesetzt, um dadurch die überragende
Größe des Gottesträgers zu veranschaulichen,
ein beliebtes Motiv. Soll ich nun näher die
Zuschreibung dieser Figur an unseren Künstler
begründen, so sei zunächst die unruhige Be- :
handlung des Ganzen als eine direkte, fast ,
notwendige Weiterentwickelung des krausen
Stiles der vorigen Figuren hingestellt. Hier ist
fast die letzte Konsequenz gezogen und eine
Steigerung ist nun kaum noch möglich. Nirgends
mehr eine ruhige, zusammenhängende Fläche,
alles ist aufgelöst und von nervösem Leben
durchsetzt. Auch der Kopf ist unruhiger
behandelt, doch wird man unschwer die Ver-
wandtschaft mit dem Kopf des Johannes in
Siersdorf herausfinden. Der Jesuknabe hat
ganz den alten Typus des Meisters bewahrt,
mit den Ringellocken, dem scharfen Kinn mit
dem Grübchen, den Falten im vollen Halse.
Auch das vorgesetzte linke Bein des Riesen
verrät deutlich des Meisters Hand, wenn man es
mit dem nackten Beine des Johannes ver-
gleicht. Daß der Kragen mit dem des Kaisers
Maxentius auf der Katharinenstatue sowie der
Johannesfigur in Gangelt übereinstimmt, ist
gewiß auch kein Zufall. Ich brauche die
Beweisgründe nicht noch weiter zu führen.
Der Christophorus steht wohl am Ende

von des Meisters Entwickelung, der hier schon
bei einer Manier gelandet ist. Aber bei allem
Spielerischen hat er dem Riesen doch noch
einen guten Teil seiner Kraft zu bewahren
verstanden.

Vor allem zeigt sich jedoch gerade an dieser
Figur die malerische Behandlung. Diese, ver-
bunden mit einem weichen Einschlag, macht
sich am oberen Niederrhein überhaupt geltend
im Vergleich zu der Kunst des unteren Gebietes
und ist ein Element, das beide oft deutlich
scheidet. Es ist bezeichneud, dass Franck-
Oberaspach (a. a. O.) bei den Aldenhovener
Figuren an fränkische Arbeiten erinnert. Der
untere Niederrhein ist fast durchweg um einen
Grad nüchternei und klarer sowie besser in
der Komposition. Er behält stets seine Vor-
liebe für feste, große Linien. Daß daneben
auch in der Gewandung recht malerische
Lösungen uns begegnen, zeigt das Kalkarer
Chorgestühl. Aber so weit wie hier der Meister
beim Christphorus, namentlich im Kopfe ging,
kam man für gewöhnlich am unteren Strom-
gebiete nicht. Daß sich diese Unterscheidung
nicht stets durchführen läßt, gelegentlich auch
der obere Niederrhein Stücke aufzuzeigen hat,
die man stilistisch an den Unterrhein ver-
weisen möchte und umgekehrt, ist wohl selbst-
verständlich. In dem großen Kalvarienberg
an der Pfarrkirche zu Kevelaer ist der Unter-
rhein der Kunst des oberen Gebietes recht
nahe gekommen, wenn nicht, wie ich annehme,
dieses Werk ein Erzeugnis dieses oberen
Gebietes ist.

Freilich ist der Bestand an plastischen
Arbeiten vom oberen Niederrhein nicht all-
zureich, aber er genügt, diese Unterscheidungs-
elemente im wesentlichen zu erkennen. Als
typische Arbeiten des oberen Stromgebietes
seien die Skulpturen des großen Sakraments-
hauses in Linnich noch angeführt. Man darf
hier auch die Kölner Plastik einbeziehen, die
ebenfalls die Neigung zum Weichen und
Malerischen gegenüber dem nördlichen Gebiet
bekundet. Köln spielt seit der Mitte des
XV. Jahrh. in der Plastik keine überragende
Rolle mehr und unterscheidet sich kaum noch
von dem großen Gebiet, das zwischen ihm und
Aachen liegt. So sind die Arbeiten meist
recht verwandt, und es ist schlechterdings oft
unmöglich, bei Holzplastiken, die uns im Handel
begegnen, anzugeben, ob als Entstehungsort
Köln oder das umliegende Land bis zur
 
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