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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Steffen, Hugo: Kurfürst Kardinal Albertus und seine Bauten in Halle a. d. S.
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1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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achteckiger Grundrißform ruht. In die Seiten-
schiffe sind Emporen eingebaut, welche auch
Netzgewölbe zeigen und von Pfeilern, in Grund-
form der großen, gestützt werden.

In den beiden westlichen Ecken befinden
sich steinerne Wendeltreppen, die zu den Em-
poren führen, welchem Zwecke auch die Treppe
in dem angebauten Türmchen dient. Eine
aus der Barockzeit stammende Einrichtung
sind die sogenannten Betstübchen, welche den
Raum zwischen allen Strebepfeilern füllen.

Die Kanzel ist eine mit der Kirche ent-
standene, dem Stil der Zeit gut charakteri-
sierende Arbeit von Sandstein und ruht auf
einer Säule mit reichem Fuße. Selbiger ist
ein vermengendes Machwerk von gotischen
und Renaissanceformen, ein Kunststückchen
mathematischer Schnurrpfeifereien rein kristal-
linischer Natur. Die Ornamente, welche man
daran sieht, sind mehr naiv als schön zu
nennen.

1541 ließ der Kardinal durch Baumeister
Nickel Hofemann die gotischen Helme der
Hausmannstürme durch neue in Renaissance-
formen ersetzen, sowie beide Türme durch
eine Brücke verbinden, von der seit Alters
her der Türmer jeden Abend einen Choral
herabbläst. Diese originelle Anlage ist zum
Wahrzeichen der Stadt Halle geworden.

Der Uneingeweihte wundert sich gewiß
über die 24jährige Bauzeit der Kirche, da es
ja nur ein Langhaus zwischen die Türme hin-
einzubauen galt! Doch war während jener
Zeit in den Machtverhältnissen ein Umsturz
eingetreten. Der hohe Protektor der groß-
zügigen Anlage, Kardinal Albertus verließ,
wie schon erwähnt, 1541 Halle, weshalb der
Kirchenbau lange Zeit eingestellt wurde. Zum
Glück wurde durch den neugewählten Rat
und die einsichtigen Bürger das vom Kardinal
angefangene — da die Pläne vollständig vor-
lagen — vollendet, hingegen die Ausführung
seiner projektierten Bauten für immer unter-
lassen.

Im Innern ist die Marienkirche durch ihre
originellen, halb noch gotische, halb Renais-
sanceformen zeigenden Emporen interessant.
Leider entfernte man später die prächtigen
Altarbilder, Meisterwerke von Grünwald usw.,
sie wurden in den Türmen untergebracht,
viele andere in aller Welt zertreut.

Die Entstehung der Renaissance, das Los-
ringen der modernen Lebenszustände von den

mittelalterlichen Einrichtungen und Anschau-
ungen läßt sich wohl kaum deutlicher er-
kennen, als an dem Baudenkmale dieser Kirche ;
man sieht daran so recht das Hervorgehen
der Formen, den eigentlichen Geburtsakt der
Renaissance bis ins kleinste Detail. Mögen
unsere Augen den Mangel des Baues an Ein-
heitlichkeit, an guten Verhältnissen und an
dem, was sonst unumgänglich zur Schönheit
gehört, noch so sonderbar empfinden, er wird
uns doch stets von großem kunsthistorischen
Interesse sein.

Das Bindeglied zwischen dem Mittelalter
und der Neuzeit fällt in die Regierungsperiode
des letzten regierenden Kirchenfürsten in
Sachsen, des Kardinals Albertus und ist diese
Zeit wohl die allerdenkwürdigste für die bau-
liche Entwicklung von Halle geworden, infolge
der großen Bautätigkeit dieses kunstliebenden
Fürsten. Er scheute keine Mittel und be-
schäftigte bedeutende Künstler, um aus seiner
Residenzstadt etwas Großartiges zu schaffen.

Wie vielseitig und der Zeit entsprechend
vorwärtsstrebend der Kardinal war, geht aus
dem Baue des einzig in Deutschland da-
stehenden Gottesackers zu Halle hervor. Weit-
blickend wie immer, erkannte er schon damals,
daß ein Gottesacker außerhalb der Stadt an-
gelegt werden müsse, was erst andere Städte
in späteren Zeiten einsahen und nachahmten.
Dem Kardinal waren die Stadtkirchhöfe als
Begräbnisplätze zuwider und darum veran-
laßte er 1529 den Rat sich zu verpflichten:
„Wollen auch einen Kirchhof zu Begräbniß
der todten auf dem Mertensbergk, wo es am
bequemsten, zurichten lassen, dahin die ge-
meine Burgere und Einwohnere zu Halle
sollen und mugen begraben werden."

Schon früher hatte auf dem Berge eine
Kapelle gestanden, um welche zu Pestzeiten
Massenbegräbnisse stattfanden. Nikel Hofe-
mann, der Erbauer der Marienkirche, wurde
nun vom Kardinal und vom Rat beauftragt,
einen Eingang mit Glockenturm und daran
im Viereck anschließend, 94 hallenartige Bögen
zu erbauen, welche allen Patriziergeschlechtern
und berühmten Professoren der Universität
zur Ruhestätte dienen sollten. Es ist eine
italienische Camposanto-Anlage, aber so innig
dem deutschen Gemüte angepaßt und die
einzige dieser Art aus damaliger Zeit in
Deutschland. 1615 warf der Sturm etliche
Bögen an der Nordwestseite um, die man,
 
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