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Zeitschrift für christliche Kunst — 24.1911

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Tepe, Alfred: Malerisch, [1]: Eine entwicklungsgeschichtliche Kunststudie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4275#0195

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345

1911. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

346

alle zwanzig Schritt kannst du es hinhalten
und damit ein anderes Bildchen umleisten.
Wahrhaftig das Individuelle, Ungenierte, dem
Bedürfnis entsprechende bringt auch das
Malerische hervor; schade, daß man das alles
nicht absichtlich machen kann, da gerade die
Unabsichtlichkeit den Zauber bewirkt. — Und
wir? Alles, was wir haben und können, ist
Frucht des Privatstudiums, der Privatlieb-
haberei — nicht der Überlieferung — was wir
machen unselige Bureauarbeit; am schwersten
paßt sie sich
der Natur an,
dem |seit al-
ters her vor-
handenen, der
noch immer

traditionellen
Produktendes

Dorfzimmer-
manns. Schon
die Lage ver-
leiht vielen
alten Kir-

chengebäuden
einen bestrik-
kenden Reiz
— nicht wenig
hat dazu bei-
getragen die
streng in acht
genommene

Orientierung :
da stand die
Kirche, das
Dörflein rich-
tete sich nach
ihr, siebrauch-
te sich nicht
nach einem

Abb. 1.. Mydrecht

möglichst geeigneten oder ungeeigneten Platz
umzusehen. Jetzt ist die Platzfrage vor dem
Auftreten des Architekten gewöhnlich schon
gelöst, keineswegs immerzu seinem Entzücken.
In bezug auf Orientierung hatte ich ein-
mal im Bund mit dem Dorfpastor und seinem
Dechanten einen harten Kampf zu bestehen,
und zwar mit einer ältlichen Baronin. Wir
wollten der guten, alten heiligen Linie treu
bleiben, sie aber bestand darauf, daß Turm
und Hauptportal der Schloßfront zugekehrt
würden, damit sie, namentlich am Sonntag,
die Aus- und Eintretenden beobachten und

mustern könne. Schade, daß Türme so wenig
beugsame Gesellen sind — sonst hätten wir
dem unserigen beigebracht, jedesmal beim
Beginn des Gottesdienstes der Baronin seine
Reverenz zu machen und sie zur Kontrolle der
Kirchgänger einzuladen. Wohl blieben wir
Sieger in dem Streite, aber der Baron-Gemahl
rächte seine Gebieterin in einem späteren
Gespräch, indem er über unsere ganze „Kunst-
bewegung" höchst despektierlich sich äußerte.
Er bewunderte die alten Kathedralen und

Rathäuser —
worin aber be-
stünden denn
unsere geprie-
senen Lei-
stungen? Dorf-
kirchlein zu
bauen wäre
unsere be-
scheidene Auf-
gabe — eine
gewöhnliche
Stadtpfarr-
kirche gelte
schon als be-
neidenswerte
Ausnahme.
Der Mann
hatte vollkom-
men recht —
aber es war
doch auch
nicht unsere
Wahl und un-
sere Schuld,
daß wir nicht
in eine Kathe-
dralenperiode
hineingeboren
waren. — Bei unserer Gewissenserforschung
braucht also die größere oder geringere Bedeu-
tung der Aufgabe nicht in Betracht zu kommen,
es handelt sich nur darum, wie wir sie auf-
gefaßt und ob wir sie zur Zufriedenheit der
milde und billig Denkenden gelöst haben.
Sind wir bestrebt gewesen, uns der Landes-
natur, der Landeskultur, der Landesarchitektur
anzupassen. Sind wir nicht, mit unsachlichen,
sogenannten genialen Privateinfällen aus der
objektiven Rolle gefallen? Haben uns bei
unseren Entwürfen die Dörfer vorgeschwebt,
die Städtchen und Städte mit ihren Bauern-
 
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